Die Blume von Surinam
Kopf bis Fuß, dann wanderte sein Blick zu Thijs.
»Warum kommen Sie zu Fuß?«, fragte er schließlich.
»Unser einziges Boot ist verschwunden, also mussten wir laufen«, erklärte Thijs.
Der Aufseher schien nachzudenken. Wim kam der Gedanke, dass es ihn durchaus seltsam anmuten musste, dass zu später Stunde zwei Weiße zu Fuß aus den Zuckerrohrfeldern traten. Woher sollte er wissen, dass sie keine bösen Absichten hegten? Er räusperte sich. »Meine Frau ist hier auf Rozenburg, Gesine Vandenberg.«
Wim registrierte erleichtert, dass der Mann jetzt eine Reihe schneeweißer Zähne entblößte, die im Licht des aufgehenden Mondes aufblitzten. »Ah, Misi Gesine, jaja … Dann folgen Sie mir bitte. Dort entlang.« Wim und Thijs setzten sich wieder in Bewegung, den Mann mit dem Hund an der Kette dicht hinter sich.
Der Weg wurde breiter, links und rechts davon waren jetzt Hütten zu erkennen. Sie durchquerten das Arbeiterdorf und anschließend den Wirtschaftshof, von wo aus Wim zum ersten Mal das Plantagenhaus sah. Vereinzelt leuchteten hinter den gazebespannten Fenstern noch kleine Öllampen. Wims Herz klopfte ein bisschen schneller.
Der Aufseher wies sie an, die hintere Veranda zu betreten, und Wim und Thijs stiegen die wenigen Stufen hinauf, während der Aufseher den Hund an einen Pfosten band.
»Warten Sie!«, befahl er ihnen knapp, bevor er das Haus durch eine der rückwärtigen Türen betrat. Die Tür knarrte, und im fahlen Mondlicht konnte Wim erkennen, dass auch an dieser Plantage der Zahn der Zeit nagte. Das Holz der Veranda war verwittert, die Farbe an der Balustrade blätterte ab, und die Bohlen waren blank von den unzähligen Füßen, die darüber gelaufen waren.
Es dauerte eine Weile, bis Schritte und Stimmen erklangen. Wim wusste nicht, wie spät es inzwischen war, aber um diese Zeit kamen sonst vermutlich nur selten Besucher.
»Wim? Thijs? Was in Gottes Namen … ihr seid zu Fuß?« Es war Jean, der schwungvoll durch die Tür auf die Veranda trat, gefolgt von seinem Aufseher. Diesem nickte er kurz zu. »Danke, Galib, alles in Ordnung. Kommt rein, Männer, kommt rein, ihr seid sicher durstig und hungrig.« Jean klopfte Thijs und Wim kraftvoll auf die Schultern, er freute sich sichtlich über ihre Ankunft. Wenig später saßen sie im Salon. Eine etwas verschlafen wirkende schwarze Haushälterin brachte ihnen eine Karaffe Dram und Gläser.
»Danke, Liv. Richte bitte schnell noch zwei Zimmer im Gästehaus her.«
Die Frau nickte und verließ den Raum. Kaum war sie durch die Tür getreten, kam Juliette im Morgenmantel herein.
»Wim?« Sie blickte ihn mit verschlafenen Augen an und umarmte ihn dann herzlich. »Wie schön, dass ihr da seid! Wir haben uns schon Sorgen gemacht.« Wim erwiderte lächelnd ihre Umarmung.
Juliette ließ ihn schließlich los und begrüßte Thijs mit einem Handschlag. Dann stemmte sie die Hände in die Hüften. »Seid ihr eigentlich verrückt? Mitten in der Nacht durch den Regenwald zu gehen?«
»Ach, Mevrouw Vandenberg, wir sind schon tagsüber durch den Regenwald gelaufen.« Thijs grinste Juliette an.
Wim schmunzelte, Thijs war trotz der Erschöpfung der Humor offensichtlich nicht vergangen. Er hob sein Glas in die Runde. »Wir sind ja gut angekommen«, sagte er nicht ohne Stolz.
»Na, das ist ja noch schöner, dann hattet ihr Wahnsinnigen ja wenigstens auch etwas zu sehen am Tag«, konterte Juliette. Sie schüttelte den Kopf und zog ihren Morgenmantel noch etwas fester um ihren Körper. »Aber jetzt erzählt doch mal! Wie ist es euch auf der Plantage ergangen? Ach so, Wim, soll ich Gesine wecken lassen?«
»Nein … das ist nicht nötig. Ich denke, wenn sie morgen früherfährt, dass ich hier bin, reicht das. Danke, Juliette.« Wim war erleichtert, als sie nur nickte und dann gebannt Thijs lauschte, der sofort anfing, von Watervreede zu berichten. Wim streckte genüsslich seine schmerzenden Beine aus und spürte, wie der scharfe Schnaps ein angenehm warmes Gefühl in seinem Bauch hervorzauberte. Vergessen waren die Strapazen des Tagesmarsches.
Kapitel 15
P ieter legte zufrieden den Brief beiseite, den er soeben von einem Boten erhalten hatte. Er kam nicht umhin, ein wenig beeindruckt zu sein. Dieser Marwijk hatte es allen Gefahren wie Schlangenbissen, Fieber oder schlicht Resignation zum Trotz tatsächlich geschafft, die Plantage in wenigen Wochen so weit herzurichten, dass man dort mit den Arbeiten beginnen konnte.
Pieter hatte es Marwijk im Stillen nicht recht
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