Die Blume von Surinam
durchaus tüchtigen Aufseher übergab, schien keine innere Unruhe heimzutreiben. Und Erika, deren Anwesenheit Julie sehr genoss, war zu Julies Erstaunen aufrichtig begeistert und brannte abends darauf, sich jeden einzelnen Schritt von Wim erklären zu lassen. Gesine hingegen verzog zumeist gelangweilt das Gesicht.
Julie war erleichtert, dass sie Pieter kaum zu Gesicht bekam. Wie die anderen hielt er sich den ganzen Tag über im Wirtschaftsbereich der Plantage auf, wo die Maschine in der ehemaligen Scheune aufgebaut wurde. Zusätzlich musste im Anschluss an die Scheune ein neues Kesselhaus angelegt werden, und einige der Arbeiter hatten begonnen, den Kanal, der vom Fluss bis dorthin führte, so zu verbreitern, dass stetig Wasser nachfloss. Martin und Henry waren ebenfalls den ganzen Tag vor Ort. Wohlwollend bemerkte Julie, dass die Jungen kaum noch über Kleinigkeiten stritten, sondern bei den Arbeiten gemeinsam an einem Strang zogen.
In den ersten Tagen war das Verhältnis zwischen Julie und Martin sehr angespannt gewesen, aber nach und nach wurde der Umgang mit ihm leichter. Julie war durchaus bewusst, dass die Situation für ihn nicht einfach war. Groll hegte sie eher gegen Pieter, der es verstand, seinen Sohn an sich zu binden. Bei den wenigen gemeinsamen Mahlzeiten in den vergangenen Wochenhatte Pieter stets von Martin und sich in der Wir-Form gesprochen und ihr dabei vielsagende Blicke zugeworfen. Julie hätte in diesen Momenten am liebsten sofort ihre Sachen gepackt und wäre nach Rozenburg zurückgefahren. Jean, der ihren Ärger durchaus bemerkte, hielt sie jedes Mal davon ab. »Julie, lass dich doch von Pieter nicht vergraulen. Nur noch ein paar Tage, dann fahren wir«, hatte er gesagt. Aber es wurden dann doch immer wieder ein paar Tage mehr …
So war es bereits Mitte September, als die Dampfmaschine endlich in Betrieb genommen werden konnte. Jean hatte auf Booten einige Fuhren Zuckerrohr von Rozenburg nach Watervreede schaffen lassen. Auf Rozenburg lief laut Nachricht seiner Vorarbeiter alles wie gewohnt zu seiner Zufriedenheit, nur der Transport des Zuckerrohrs per Schiff bereitete ihm Bedenken. »Das geht so nicht. Der Weg den Fluss hinauf ist viel zu umständlich«, hatte er bestimmt, und schon hatten die Männer ein weiteres Projekt, über das sie grübeln konnten: den Bau eines Landweges zwischen Rozenburg und Watervreede.
Erst jedoch galt es, die Maschine in Betrieb zu nehmen. Im Kesselhaus wurde seit dem frühen Morgen geheizt, und nun versammelten sich alle um das Gerät, das ab diesem Tag ihre Zukunft bestimmen sollte. Thijs Marwijk hielt sichtlich gerührt eine kurze Rede, in der er sich bei Pieter, Wim, Jean, Martin und Henry für ihre Hilfe bedankte und mit einem Augenzwinkern auch bei den Frauen, die so geduldig den Ehrgeiz der Männer ausgehalten hatten. Als er geendet hatte, herrschte einen Moment gespanntes Schweigen. Dann gab Marwijk das Kommando, woraufhin einer der Arbeiter das Ventil öffnete. Der Dampf bahnte sich vom Kesselhaus seinen Weg, und schließlich tat die Maschine schnaufend den ersten Kolbenschlag. Helena erschrak heftig und begann auf Julies Arm zu weinen. Julie konnte es ihrer Tochter nicht verübeln. Der Lärm der nun ratternden und klappernden Maschinewar unerträglich. Schützend legte sie ihre Hand auf den Kopf des Mädchens und trug sie nach draußen.
»Juliette.«
Ruckartig drehte sie sich um. Und blickte direkt in Pieters kalte Augen.
»Was willst du?«, zischte sie ihn an.
»Warum so unhöflich, Juliette?« Er trat neben sie.
Julie legte intuitiv schützend die Arme um Helena.
Pieter lächelte süffisant. »In Anbetracht der Tatsache, dass da drin auch gerade deine Zukunft angelaufen ist, wäre ein etwas freundlicherer Ton angebracht. Ich hoffe nur«, er machte ein gespielt besorgtes Gesicht, »dass Rozenburg jetzt auch dem zukünftigen Konkurrenzdruck gewachsen ist. Hier werden bald ganz andere Zeiten anbrechen.« Wie um diese Aussage zu bestätigen, machte er eine ausschweifende Geste mit den Armen, hielt dann aber abrupt inne. Er hakte seine Daumen lässig in den Hosenbund und wanderte ein paar Schritte um Julie herum.
»Dir ist hoffentlich klar, dass Martin hier bei mir bleiben wird. Er muss noch vieles lernen. Vor allem den Umgang mit den Negern, da habt ihr in der Ausbildung die Zügel ja eher locker gehalten … nett übrigens, dass du mir gleich ein kleines Negermädchen hierhergebracht hast.« Sein Lachen ließ Julies Herz zu Stein werden.
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