Die Blume von Surinam
waren. Weiße Jungen, die ohne Schuhe liefen? Das hatte sie noch nie gesehen. Die Jungen schleppten eifrig Misi Gesines Koffer und machten leise Witze über Karini. Karini ahnte den Grund dafür: Weit und breit war kein Mensch von dunkler Hautfarbe zu sehen. Karini fühlte sich plötzlich sehr einsam.
Kapitel 8
M utter! Wir müssen Karini doch suchen. Sie ist jetzt schon fast sechs Wochen fort!« Henry schlug mit der flachen Hand gegen einen der Holzständer der Veranda. Er war wütend und konnte nicht verstehen, warum seine Mutter keine Anstalten machte, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Immer wieder hatte er sie gedrängt, auf seine Fragen zu antworten oder zumindest einen Trupp loszuschicken, hatte aber stets nur ausweichende Antworten erhalten. So wie jetzt.
Seine Mutter saß neben ihm an dem kleinen Tisch und spielte mit Helena. »Henry, für Karini ist es sicherlich besser, zunächst das Erlebte in Ruhe zu verarbeiten. Sie hat Schlimmes durchgemacht.« Juliettes Blick wie auch ihr Tonfall sagten Henry, dass dahinter noch mehr lag, als nur die Sorge um Karinis zerschlagenes Gesicht.
Henry war entsetzt, als ihm die Bedeutung ihrer Worte aufging. »Meinst du etwa … nein, das hat er nicht getan!«
Doch seine Mutter zuckte nur mit den Schultern. »Henry, ich weiß es nicht. Aber zuzutrauen wäre es Pieter gewesen …«
Henry spürte, wie sich der Hass in ihm ausbreitete. »Wer immer ihn auch erstochen hat, derjenige hat …«, stieß er angewidert hervor.
»Sch … sch … so etwas darf man nicht einmal denken.« Der Blick, den seine Mutter ihm zuwarf, war streng. Sie deutete auf Helena, die inzwischen munter alles Gehörte nachplapperte.
Aber Henry wollte das nicht gelten lassen. »Ach, du hast ihn doch auch so oft zum Teufel gewünscht.«
»Ja, im Stillen.« Sie bedachte ihn mit einem langen Blick. »Und bedenke bitte, dass man aufpassen muss, was man sagt, solange man den Schuldigen nicht gefunden hat.«
»Ja, ist ja schon gut.« Henry wandte sich trotzig um.
Henry hatte auch Kiri immer wieder nach Karinis Verbleib gefragt, aber auch sie schwieg eisern. Dabei war er sich sicher, dass sie die Antwort kannte, hatte seine Mutter sie doch gefragt: »Ist Karini gut aufgehoben?«, woraufhin Kiri genickt hatte.
Eine weitere Woche verstrich, dann kam eines dunstigen Vormittags, während die Familie beim Frühstück zusammensaß, plötzlich Erika in das Plantagenhaus gestürzt.
»Juliette, entschuldige bitte, aber wir haben gestern erst erfahren, was passiert ist. Das mit Pieter, meine ich …«
Julie stand auf und umarmte ihre Freundin, die vollkommen durcheinander schien. »Oh, das tut mir leid. Ich hatte gehofft, dass ihr über Gesine von den Entwicklungen erfahren würdet. Ich hatte sie benachrichtigen lassen.«
Henry sah, dass diese Information Erika keineswegs beruhigte. »Das ist es ja, diese Nachricht erreichte uns gestern über Umwege, denn Gesine ist gar nicht mehr im Land.«
Henry traute seinen Ohren nicht. Und auch seine Mutter schien überrascht. »Oh, das wusste ich nicht. Wieso denn? Ich dachte … wegen der Scheidung …«
Erika hob in einer Geste der Hilflosigkeit die Arme. »Ja, sie war ja auch eine Weile in der Stadt, aber dann kam Karini.«
Nun hielt es Henry nicht mehr auf seinem Stuhl. »Karini? Karini ist in der Stadt?«
»Ja, nein … sie war in der Stadt.«
»Ist? War? Wo ist Karini? Weiß sie, dass Pieter tot ist?« Henry war vollkommen aufgebracht.
»Nein, sie ist mit Gesine gegangen.«
»Was?«, fragten Henry und Julie wie aus einem Mund.
»Gesine war nach Karinis Bericht über Pieter, Sarina und Thijs Marwijk so entsetzt, dass sie es vorzog, in die Niederlande zurückzukehren. Das Schiff ging keine zwei Tage später. Und Karini … das arme Mädchen hatte so fürchterliche Angst, dass Pieter sie beschuldigen würde, ihn in Verruf bringen zu wollen oder … gar Schlimmeres.« Erika schluchzte jetzt. »Wir wussten ja nicht, was noch alles passiert war. Karini wollte mit Gesine fahren, und Wim und ich haben ihr geholfen. Wir dachten, das wäre für sie der sicherste Weg. Gerade weil ich doch wusste, was für ein Mensch Pieter ist.« Wieder schluchzte sie laut auf.
»Ist schon gut, Erika, ihr konntet ja nicht ahnen, was passiert ist. Und ihr habt richtig gehandelt, nun ist sie wirklich in Sicherheit.«
Henry beobachtete, wie seine Mutter ihrer Freundin einen dankbaren Blick zuwarf. Er aber konnte das nicht nachvollziehen. »Als ob ein Aufenthalt in den
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