Die Blume von Surinam
parkartigen Garten und setzte alles daran, dass er stets gut gepflegt war. Jean neckte sie manchmal damit.
»Es gibt doch nun wirklich genug Gewächse in diesem Land.« Wie recht er damit hatte! Bei genauem Hinsehen erspähte man in dem scheinbar undurchdringlichen Grün des Regenwaldes eine bunte Vielfalt, und auch in den Uferzonen hingen üppige, doldenartige Blütenstände im Licht, umringt von Schwärmen bunter Schmetterlinge. Aber der Garten vor dem Plantagenhaus war anders, fand Julie. Geordneter. Zudem gab es einige Rosenstöcke, die noch von Karls erster Ehefrau gepflanzt worden waren. Felice hatte der Garten besonders am Herzen gelegen, hatte Martina Julie erzählt, obwohl sie selbst noch sehr klein gewesen war, als ihre Mutter starb. Und Julie war der Meinung, sie müsse zur Erinnerung an Felice, die es auch nicht leicht gehabt hatte auf dieser Plantage, und deren Tochter wenigstens dieses Erbe erhalten.
Seitlich des Gartens, wo dieser fast an den Regenwald grenzte und die hohen Bäume mit ihren moosbehangenen Lianen die Erde beschatteten und wo das Hochwasser nicht hinkam, lagendie Gräber der Familie. Dort ruhten Karl und Martina. Für Felice gab es nur einen Gedenkstein; ihre Familie hatte damals auf einer Bestattung in der Stadt beharrt. Martinas Tante Valerie lag nun ebenfalls auf dem Friedhof in der Stadt begraben, gleich neben ihrem Kapitän.
Ein wenig abseits hatte Julie eine weitere Grabstätte für die Menschen, die sie während ihrer Zeit in Surinam bereits verloren hatte, einrichten lassen. Dort lagen in schlichten Gräbern Amru, die ehemalige Haussklavin, neben ihrem Mann Jenk, den Martins Vater hatte zu Tode foltern lassen. Amru hatte den Verlust nie verschmerzen können und war ihrem Mann nur drei Jahre später ins Grab gefolgt. Und hier lag auch Suzanna begraben. Julie hatte damals verhindert, dass man sie auf einem der schäbigen Armenfriedhöfe begrub. Nach Karls Tod war Julie sehr froh gewesen, durch einen Zufall von Suzanna und ihren Kindern erfahren zu haben. Suzanna hatte sich zunächst geziert, Julies Hilfe anzunehmen. Aber Julie hatte sie davon überzeugen können, dass sie und die Kinder ein Recht auf Versorgung durch die Plantage Rozenburg hatten. Denn, und das wusste außer Julie niemand, Suzanna war nicht nur die surinamische Frau von Karl gewesen, sondern auch seine Halbschwester. Ihre Mutter hatte bei Karls Vater die gleiche Aufgabe erfüllt wie Suzanna später bei dessen Sohn. Suzannas Mutter hatte nicht nur Karl als Amme und dessen Vater als surinamische Frau gedient, sondern ihm auch ein Kind geboren.
Bis heute schockierte Julie jeder Gedanke an diese Beziehungen. Insgeheim war wohl ein Großteil der Kolonie verwandt oder verschwägert.
Julie seufzte leise und atmete dann tief ein. Sie sog den feuchtschweren Duft ihres geliebten Gartens ein, der bis zum Ufer herüberwehte. Jetzt, Ende Juni, waren die Pflanzen dank des üppigen Regens kräftig, und Julie freute sich auf das Ende der Regenzeit, wenn aus den noch zarten Blüten eine wahre Explosion der Farben und Düfte entstehen würde. Und dann würden auch bald die Jungen wiederkommen … Nun aber galt es, die gegenwärtige Situation zu meistern, und Julie bereitete sich auf das bevorstehende Anlegen vor. Das Boot der indischen Arbeiter war bereits am Steg vertäut, es hatte sich auf dieser langen Strecke dank der kräftigen Ruderer einen kleinen Vorsprung erarbeitet.
Auf dem hölzernen Steg erspähte sie die Gestalt von Liv. Liv war als junges Mädchen zunächst die Leibsklavin von Martina gewesen, nach deren und Amrus Tod hatte sie auf der Plantage die Rolle der Haushälterin übernommen. Julie bemerkte sofort, dass Liv von einer gewissen Unruhe ergriffen schien.
»Masra Jean, Misi Juliette, gut, dass Sie ankommen.«
»Liv, was ist denn los?« Julie kletterte schnell aus dem Boot, wobei ihre Beine durch das schnelle Aufstehen nach dem langen Sitzen wie von tausend Ameisen befallen kribbelten.
»Misi, die Arbeiter, die angekommen sind … nun … es … Sie sollten gleich zum Arbeiterdorf gehen.« Liv nestelte nervös an ihrer Kittelschürze. Julie betrachtete sie nachdenklich. Sie kannte sie schon so lange, sie selbst hatte zu Karls Zeit dafür gesorgt, dass Liv als Leibsklavin von Martina eingesetzt wurde, um die Haushälterin Amru zu entlasten. Für Liv war es damals ein schweres Los gewesen, aber sie hatte sich nach und nach gut in ihre neue Stellung eingefunden und war inzwischen eine unverzichtbare
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