Die Blume von Surinam
Stütze für den Haushalt, vor allem, wenn Kiri in der Stadt war. Dennoch würde sie nie die Selbstsicherheit erlangen, wie Kiri sie in sich trug. Es fiel ihr sichtlich schwer, die Hausherren jetzt gleich mit einer schlechten Nachricht empfangen zu müssen.
Jean hob resigniert die Arme. »Ich gehe schon, mach du dich erst einmal frisch.«
Beide hatten sich nach der langen Bootsfahrt bei drückend schwülwarmem Wetter auf den Schatten des Hauses, ein erfrischendes Getränk und kühles Wasser zum Waschen gefreut.
»Nein, ich komme mit.« Schon war Julie auf dem Weg.
Im Arbeiterdorf herrschte ein unübersichtliches Durcheinander. Die indischen Arbeiter saßen auf ihrem Gepäck, einige der schwarzen Bewohner standen in Grüppchen zusammen und diskutierten lautstark und gestenreich. Als Jean und Julie eintrafen, wurden sie von ihren angestammten Arbeitern gleich bestürmt.
»Langsam, langsam, was ist denn los?« Jean versuchte, sich einen Überblick über das Durcheinander zu verschaffen.
Joshua, einer der Vorarbeiter, ergriff das Wort. »Masra, die neuen Arbeiter, sie wollen nicht in die Hütten, die wir ihnen zugewiesen haben.«
»Sie wollen was nicht?« Jean schien ehrlich verblüfft.
»Masra, wir verstehen diese Leute nicht, aber die meisten weigern sich, gemeinsam in die Hütten zu ziehen.«
Julie und Jean hatten für die achtundvierzig neuen Arbeiter fünfzehn der ehemaligen Sklavenhütten vorgesehen. Das erschien ihnen mehr als ausreichend. Die verwandtschaftlichen Verhältnisse waren schwer zu durchschauen, aber sie waren sich sicher, dass einige Familien darunter waren, sodass fast jede Familie eine eigene Hütte bekam. Wo also lag das Problem?
Jean suchte zwischen den Indern nach dem Mann der Frau mit dem orangefarbenen Sari. Er hoffte, von diesem eine Erklärung bekommen zu können. Es dauerte eine geraume Zeit, bis Jean zwar nickte, dann jedoch mit ein paar scharfen Worten auf die Hütten und auf die Inder zeigte. Achselzuckend kam er zu Julie zurück. »Es geht wohl nicht nur um Familien, sondern … ich habe es nicht ganz verstanden, ich glaube, einige fühlen sich den anderen überlegen, wiederum andere waren doch keine Familie, er sprach von castes, ich weiß allerdings nicht, was er damit meint. Ich habe jetzt gesagt, sie sollen machen, was man ihnen sagt, sonst würden wir sie gleich wieder in die Stadt zurückschicken.«
»Jean!«
»Ach, was soll ich denn machen, wenn sie gleich am ersten Tag hier aufbegehren …«
Julie seufzte. Er hatte ja recht. Es waren Arbeiter, und sicherlich war die Situation für alle nicht leicht, doch sie mussten ihre Unterkünfte akzeptieren, sonst würde es auf Dauer nicht gut gehen. Jean stand immer im Zwiespalt zwischen einer liberalen Plantagenführung und der Strenge, die vonnöten war. Er vertraute darauf, dass seine Arbeiter zuverlässig und bereitwillig arbeiteten, was sie auch taten. Aber ob die Neuankömmlinge sich auch so anstellig zeigen würden?
Julie und Jean blieben noch so lange im Arbeiterdorf, bis alle Inder sich mit ihrem Hab und Gut auf die Hütten verteilt hatten. Es gab zwar noch das eine und andere laute Wort, doch Kadir, wie der Inder hieß, mit dem Jean geredet hatte, sprach seinen Landsleuten gut zu.
Dass dies nicht das letzte Mal gewesen sein sollte, dass es Probleme mit den indischen Kontraktarbeitern gab, ahnten weder Julie noch Jean.
Kapitel 9
I nika fand schnell Anschluss. Misi Minou sorgte liebevoll dafür, dass keines der Kinder in ihrem Haus von den anderen geärgert oder gar gehänselt wurde. Zudem waren Inika und der Junge etwas älter als die meisten Kinder im Kinderhaus. Da sie aber alle das gleiche elternlose Schicksal teilten, hielten sie auch zusammen, zumal sie auf der Straße oft genug Anfeindungen ausgesetzt waren.
Nach ein paar Tagen hatte Inika verstanden, dass ihre einzige Chance, ihre Eltern wiederzufinden, darin bestand, sich den Menschen in diesem Land verständlich zu machen. Daher schaute sie sich bei den anderen Kindern wissbegierig die Sprache ab. Jetzt waren sie schon einige Wochen in Surinam, und Inika war stolz darauf, schon etliche Worte sprechen zu können. Zumal das nicht ganz so einfach war, schien es doch in diesem Land unterschiedliche Sprachen zu geben, darunter die der Farbigen, ein lustiges Geschnatter mit vielen weichen Tönen und einem melodischen Klang, und dann noch die Sprache der Weißen, härter im Ton, mit kurzen Silben und holpernden Tönen, die ihre Zunge nicht so recht zu formen
Weitere Kostenlose Bücher