Die Blume von Surinam
feuchtwarme tropische Hitze bringen würde.
Bei ihrer Ankunft in Surinam vor nunmehr ziemlich genau achtzehn Jahren hatte Julie sich noch auf den dauerhaften Sommer gefreut, dann aber schnell lernen müssen, dass das tropische Klima mit europäischen Verhältnissen nicht zu vergleichen war. Hitze und Feuchtigkeit forderten den Menschen manchmal nahezu alles ab, schienen sie auszulaugen und zu zermürben und brachten nicht selten schwere Krankheiten mit sich.
Julies alte Freundin Erika hatte eine Nachricht aus der Stadt geschickt, mit der Bitte, Rozenburg mit einigen der von ihr betreuten Kinder in den Wochen der kurzen Trockenzeit zwischen Ende Februar und April besuchen zu dürfen. Sie machte sich Sorgen, dass die Kinder aufgrund des außergewöhnlich schwülen Wetters vom Fieber heimgesucht werden könnten. Das Fieber war ein tückisches Alltagsleiden in der Kolonie, fast jeder Zweite war früher oder später davon betroffen – auch Julie hatte in den letzten Jahren mehrmals daniedergelegen und gegen diese Geißel gekämpft. Sie war gleich geneigt gewesen, ihre Jungen auch aus der Stadt zu rufen. Aber Jean hatte sie beschwichtigt.
»Es ist doch jedes Jahr so. Erikas Kinder sind von schwacherKonstitution, viele waren schon krank, bevor sie zu ihr kamen. Henry und Martin geht es gut, glaub mir, und sie sind schon viel älter und kräftiger, als die Kinder, die Erika betreut.«
Für Kinder war das Tropenfieber besonders gefährlich, immer noch war die Sterberate gerade in der ärmeren Bevölkerungsschicht sehr hoch. Erika versuchte, die Bewohner des Kinderhauses, so gut es ging, davor zu schützen, schrieb aber, dass einige der neu aufgenommenen Schützlinge von sehr zarter Gesundheit seien.
Julie freute sich auf die Abwechslung zum eintönigen Plantagenalltag. Früher, als die Jungen noch dauerhaft daheim und auch unter den Arbeitern viele Familien gewesen waren, hatte es im Haus oder auf dem Wirtschaftshof dahinter immer Kinderlachen gegeben. Julie vermisste diese Zeiten schmerzlich.
Julie wies Sarina und Liv an, einige Zimmer im Gästehaus herzurichten, und erklärte, dass ihre Freundin mit einigen Kindern aus Paramaribo anreisen würde. Bei der Erwähnung der Kinder huschte ein trauriger Schatten über Sarinas Gesicht, und Julie verspürte einen Stich im Herzen. Sie hatte nie herausgefunden, was mit Sarinas Tochter passiert war. Die Inderin sprach auch nicht darüber. Manchmal aber starrte sie gedankenverloren auf den Fluss und versank in Melancholie.
Das Gästehaus lag hinter dem Plantagengebäude am Rande des Wirtschaftshofes und wurde eher selten genutzt. Früher hatten sich die Plantagenbesitzer gelegentlich untereinander besucht, dem kolonialen Luxus gefrönt und den Vorzug genossen, nicht selbst arbeiten zu müssen. Doch diese Zeiten waren längst vergangen. Heute waren die Plantagenbesitzer ebenso gefordert wie ihre Arbeiter. Um eine Plantage wirtschaftlich zu betreiben, bedurfte es heutzutage mehr als ein paar Hundert Arbeitssklaven und genügend Land. Einige wenige alteingesessene Kolonisten hatten dies zwar noch nicht so recht verstanden und versuchten weiterhin, den alten Lebensstil zu genießen, mussten aber schließlich einsehen, dass die goldenen Zeiten vorbei waren.
Plantagenbesitzer wie Julie und Jean, die sich redlich bemühten, ihre Pflanzungen zu erhalten, hatten in den ersten Jahren nach der Sklavenemanzipation oft nur ein mitleidiges Lächeln geerntet. Vor allem Julie, die sich auch in der Stadt um die geschäftlichen Kontakte kümmerte, wurde als Frau zunächst nicht ernst genommen. Als sich aber herausstellte, dass eine Zuckerrohrplantage nur mit viel Fleiß und Beharrlichkeit geführt werden konnte, und jeder, der am alten Lebensstil festhielt, plötzlich um seine Existenz kämpfen musste, belächelte man sie nicht mehr. Julie war stolz darauf, dass es ihr zusammen mit Jean bisher gelungen war, Rozenburg durch die schweren Zeiten zu bringen. Aber noch waren diese nicht überstanden.
Schon zwei Wochen später legte das Boot von Erika an der Plantage Rozenburg an. Hinter Erika kletterten acht Kinder an Land. Eines davon war Erikas Tochter Hanni, ein zartes, hellblondes Mädchen in Henrys Alter. Julie war verwundert, da Hanni ebenfalls in der Stadt die Schule besuchte, die dunklen Augenringe des Kindes verrieten ihr aber, dass auch sie Erholung nötig hatte. Neben Hanni standen fünf farbige Kinder verlegen am Steg, und neben diesen wiederum zwei größere, die denen der indischen
Weitere Kostenlose Bücher