Die Blume von Surinam
es, nun arbeiten zu müssen und all die vielen wertvollen Dinge, die sie noch nicht wusste, nicht lernen zu können. Wenn sie im Stadthaus putzte, nahm sie gerne ein Buch aus einem der Regale und blätterte vorsichtig darin. So auch heute. Hätte ihre Mutter nicht gerufen …
Während des schnellen Laufs war etwas Milch aus den Gläsern geschwappt. Vorsichtig versuchte sie, das Malheur mit einem Tuch aus ihrer Kittelschürze zu beseitigen. Eines der Brote aber hatte einige Tropfen abbekommen und weichte nun sichtlich auf.
Eilig ging sie auf die jungen Masras zu, um ihnen ihr Frühstück zu übergeben. Während Masra Henry ihr flüsternd erzählte, was er gerade über chemische Reaktionen von Wasser gelernt hatte und gar nicht auf die Mahlzeit achtete, erwischte Masra Martin ausgerechnet das aufgeweichte Brot. Plötzlich bekam sein Gesicht einen bösen Ausdruck, und er hielt Karini das Brot unter die Nase.
»Was soll das? Soll ich das etwa noch essen?«
Masra Henry hielt inne und starrte Masra Martin verblüfft an.
Masra Martin ließ den Teller mit einem Scheppern auf das Tablett fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. »Manchmal wäre es besser, man dürfte euch Neger noch bestrafen«, gab er von sich.
Karini traute ihren Ohren nicht.
Masra Henry fand seine Sprache wieder. »Martin, hör auf! Was soll das?«
Inzwischen hatten sich einige Schüler zu ihnen umgedreht und beobachteten das Geschehen gespannt. Karini war unwohl. Sie hatte mehrmals erfahren müssen, dass Masra Martin in der Gegenwart anderer blanker nicht besonders freundlich zu ihr war. Eigentlich war er, seit sie wieder in der Stadt waren, ihr gegenüber die ganze Zeit sehr ablehnend gewesen. Dass er sie aber öffentlich tadelte wie eine Untergebene, das war noch nie vorgekommen.
Sie trat einen Schritt zurück. Masra Henry stellte sich schützend vor sie.
»Lass sie in Ruhe Martin, das kann doch mal passieren.«
Masra Martin, der, wie Karini schlagartig klar wurde, wusste, dass sie beobachtet wurden, gab so schnell nicht klein bei. »Du läufst jetzt los und holst mir ein neues Brot.«
»Martin, das ist doch Quatsch, das schafft Karini nicht bis zum Ende der Pause. Hier … du kannst meines haben.« Masra Henry hielt Masra Martin versöhnlich sein Pausenbrot hin.
Inzwischen waren einige andere Schüler näher getreten und tuschelten.
»Ich will dein Brot nicht.« Mit einer unwirschen Handbewegung schlug Masra Martin Masra Henry das Brot aus der Hand, sodass es im staubigen Sand des Schulhofes landete.
»Hey, was soll das?« Masra Henry machte einen Schritt nach vorn und schubste seinen Kontrahenten.
Die umstehenden Kinder und Jugendlichen johlten auf, als Masra Martin zurückschubste. Karini stand hilflos mit ihrem Tablett daneben.
»Was geht hier vor?« Eine tiefe Männerstimme setzte der Schubserei ein jähes Ende.
Die Schüler, die sich um die beiden Streithähne geschart hatten, traten respektvoll auseinander, und die hochgewachsene, breite Gestalt von Lehrer Grevender trat hervor. Masra Martin und Masra Henry ließen voneinander ab. Masra Henry senkte sofort den Blick, Masra Martin jedoch funkelte Karini böse an. Dann zeigte er mit dem Finger auf sie und beschwerte sich.
»Sie hat sich erlaubt, mir ein schlechtes Brot zu bringen, und weigert sich, mir ein neues zu holen.«
Karini sah, wie der Lehrer sie kurz mit seinem Blick fixierte. Dann wandte er sich wieder an Masra Martin.
»Euch hat auch keiner beigebracht, wie man mit diesem Negerpack richtig umgeht.« Er gab Masra Martin seinen Zeigestock in die Hand, den er stets bei sich trug.
Karini lief ein eiskalter Schauder den Rücken hinunter, als ihr klar wurde, was das bedeutete.
»Martin!« Masra Henry starrte seinen Ziehbruder erschrocken an, während Karini einen weiteren Schritt zurückwich. Die Angst steigerte sich in Panik.
Masra Martin zögerte. Die Wut, die ihn eben noch so offensichtlich getrieben hatte, war aus seinem Gesicht gewichen. Unsicher starrte er auf den Stock in seiner Hand. Bevor er aber reagieren konnte, riss ihm der Lehrer diesen wieder aus der Hand.
»Verweichlicht seid ihr alle, verweichlicht … und du …« Er machte einen Schritt auf Karini zu, holte blitzschnell aus und hieb ihr mit einem kräftigen Schlag auf den Oberarm.
Karini schrie vor Schreck und Schmerz auf, ließ das Tablett fallen und rannte, so schnell sie konnte, davon.
Im Stadthaus stürmte Karini tränenüberströmt an ihrer Mutter vorbei, ignorierte deren Rufe und
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