Die Blume von Surinam
verschwand sofort in ihrer Kammer im Hinterhaus. Im schummerigen Licht der kleinenHütte fühlte sie sich sicher, verkroch sich in ihrer Hängematte und zog sich ihr Schlaftuch über den Kopf.
»Karini, was ist denn los?« Kiri war ihrer Tochter gefolgt und schaute nun besorgt durch die Türöffnung.
Als Karini sich nicht regte, trat sie zu ihr an die Hängematte und versuchte, das Tuch von Karini zu ziehen.
»Lass mich!«, heulte Karini auf.
Aber es war zu spät. Ihre Mutter hatte das Tuch angehoben. Die lange, rote Strieme auf Karinis Arm war selbst im schummerigen Licht der Hütte nicht zu übersehen.
»Wer war das?«, fragte sie mit harter Stimme.
Karini gab keine Antwort. Was sollte sie auch sagen? Dass Masra Martin, den sie bis heute für ihren Freund gehalten hatte, sie verpetzt hatte, sodass dieser Lehrer sie geschlagen hatte? Dass sie diesen Schulhof nie, nie, nie wieder betreten würde? Karini heulte.
Ihre Mutter strich ihr beruhigend über das Haar. »Ach, Karini«, ihre Stimme war jetzt weicher, »hast du denn etwas angestellt?«
Karini schüttelte schnell den Kopf. Obwohl … »Ich hab«, schluchzte sie, »ich hab nur versehentlich etwas von Masra Martins Milch verschüttet … da kam … da war … der Lehrer.«
Kiri seufzte und umarmte ihre Tochter. »Karini, so schwer das auch ist, es gibt leider immer noch blanke , die noch nicht verstanden haben, dass wir inzwischen auch Rechte haben. Damit müssen wir leider leben und damit müssen wir leider auch lernen umzugehen.«
Karini wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. »Er hat mich geschlagen«, flüsterte sie.
»Ja, Kind, ich weiß, aber das kannst du nicht ändern, du kannst ihm nur wieder entgegentreten, um zu zeigen, dass wir uns von so etwas nicht einschüchtern lassen. Deswegen wirst du dich jetzt waschen, ich gebe Salbe auf deinen Arm und dann wirst du gleich wieder hingehen und den Jungen ihre nächste Pausenmahlzeit bringen.«
Karini war entsetzt. »Nein!«
»Doch, das wirst du, und jetzt steh auf und wasch dir die Tränen ab.« Mit diesen Worten verließ Kiri die Hütte.
Karini starrte ihrer Mutter wütend nach. Doch als diese ihr beim Verlassen der Hütte den Rücken zukehrte, wurde Karini schlagartig bewusst, warum ihre Mutter das von ihr verlangte. Sie wusste, dass der Rücken ihrer Mutter übersät war von alten Narben. Narben von Peitschenschlägen. Sie waren alt, und Karini konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Mutter diese Narben durch die Hand von Masra Jean oder der Misi Juliette bekommen hatte. Aber sie waren da, und das bedeutete, dass sie in ihrem Leben mehr als einmal die Peitsche eines blanken zu spüren bekommen hatte.
Karini schämte sich und drückte absichtlich fest auf die Strieme auf ihrem Oberarm. Was hatte ihre Mutter schon alles erleiden müssen durch die blanken – und sie selbst jammerte jetzt, weil sie einmal einen Stock zu spüren bekommen hatte, den ersten ihres Lebens. Aber ob es nun am Schlag lag oder an der Gewissheit, dass Masra Martin soeben einen Keil in ihre Freundschaft getrieben hatte, war Karini bewusst, dass sich ab heute einiges ändern würde.
Sie raffte sich auf, reinigte ihr Gesicht und machte sich auf den Weg in die Küche, um ein neues Tablett von ihrer Mutter in Empfang zu nehmen. Sie würde gleich wieder zur Schule gehen und den Jungen ihr Essen bringen. Sie würde sich nicht unterkriegen lassen. Sie war nämlich schwarz … und nur ein bisschen weiß.
Kapitel 13
I nika war beeindruckt gewesen, als sie das imposante Plantagenhaus auf dem erhöhten Ufer aus der Ferne vom Boot aus erspäht hatte. Sie hatte auf der stundenlangen Fahrt von der Stadt hierher einige Plantagen vorbeiziehen sehen, aber nicht damit gerechnet, dass sie auch an einem so herrschaftlichen Ort anlegen würden. Doch dann geschah es in der Tat. Eine blonde, sehr freundliche Frau hatte sie dort in Empfang genommen. Sie hieß Misi Juliette, wie Misi Erika ihnen noch auf dem Schiff erklärt hatte. Misi Juliette und ihrem Mann Masra Jean gehörte diese Plantage. Inika war froh gewesen, das Boot verlassen zu können. Der Fluss war breit und führte dunkles Wasser, sie wusste nie, was unter ihr war. Auf einigen großen Sandbänken hatten merkwürdige Tiere gelegen. Im ersten Moment hatten sie ausgesehen wie Baumstämme, im nächsten hatten sie aber ihre großen Mäuler aufgesperrt und waren mit einer blitzschnellen Bewegung im Wasser verschwunden. Dass diese Tiere dann gar unter dem Boot im Wasser
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