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Die Blumenweberin: Roman (German Edition)

Die Blumenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Blumenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jocelyne Godard
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zu ernst zu«, fuhr der junge Marot fort, nahm Marguerites Hand und küsste sie. »Doch wie ich höre, soll die Duchesse d’Angoulême auf ihrem Schloss weitaus toleranter gewesen sein, und ihre Tochter folgt angeblich ihrem Beispiel.«
    »Meine Mutter ist tatsächlich keine Moralpredigerin. Ihre Einstellungen waren stets offen und frei. Bei der Erziehung ihrer Kinder war es ihr besonders wichtig, dass nichts unverständlich blieb. Jedes Ereignis musste erklärt, jede Tatsache diskutiert und jede Entscheidung wohl überlegt werden.«
    »Wurde bei den Angoulêmes auch gereimt?«
    »Oh ja, wir haben Rondeaus gedichtet«, antwortete Marguerite, ohne ihren Blick von ihm losreißen zu können.
    »Rondeaus sind allerdings die einfachsten rhethorischen Formen in der Dichtung. Habt Ihr Euch nicht vielleicht auch einmal an Lais oder Virelais oder anderen neueren Formen versucht?«
    Marguerite zögerte einen Moment. Es kam selten vor, dass sie nichts zu entgegnen wusste.
    »Diese Dichtkunst wurde über viele Generationen überliefert. Heute müssen wir uns von einer veralteten Form trennen, die noch viel zu viele Rhethoriker lehren.«
    »Wenn ich Euch zuhöre, fürchte ich, dass ich nur sehr unzulänglich unterrichtet bin, was die moderne Dichtkunst anbelangt.«
    »Ich werde Dizains und Epigramme für Euch schreiben, in denen ich Eure Schönheit rühme.«
    Seine kecken Augen verschossen goldene Blitze. Gott, wie sehr sie diese höflichen Manieren im Gegensatz zu dem rüden Wesen ihres Gatten liebte!
    Eine vorwitzige Locke war ihr in die Stirn gefallen, und sie versuchte sie wieder unter ihre Haube zu schieben, wobei er ihr gern behilflich war.
    »Sind die Äpfel mit Calvados flambiert?«, wollte sie von dem Gastwirt wissen. Sie hatte ihr Dessert noch nicht angerührt.
    »Sie sind mit meinem besten Cognac flambiert. Haben sie Euch geschmeckt, Monseigneur?«, fragte er den Dichter.
    Marot wurde rot, weil ihn noch nie jemand mit Monseigneur angeredet hatte. Marguerite nahm an, dass er wahrscheinlich nicht einen Sou in der Tasche hatte, und flüsterte:
    »Ihr könnt ruhig noch eine Portion bestellen. Ich lade Euch ein. Dafür müsst Ihr mir aber Euer schönstes Epigramm widmen.« Und etwas lauter fügte sie hinzu: »Was hieltet Ihr davon, Haus- und Hofdichter der Comtesse d’Angoulême zu werden?«
    Er versank in ihren Augen, als wären sie sein Tor zum Glück.
    »Lieber wäre ich der Eure.«
    Nachdenklich spielte sie mit dem Saum der Haube, unter der sich die vorwitzige Locke verbarg.
    »Dann will ich Euch einen anderen Vorschlag machen. Ich brauche einen Sekretär.«
    Noch immer sah er ihr in die Augen, und ihre Wimpern flatterten ein wenig.
    »Diese Aufgabe könnte ich ohne Weiteres erfüllen.«
    Im Grunde war Marguerite weder flatterhaft noch eitel, aber dieser intelligente, manierliche junge Mann gefiel ihr, und es bereitete ihr große Freude, sich von ihm den Hof machen zu lassen.
    Dass sie sich augenscheinlich in einer ziemlich heiklen Situation befand, schien sie nicht weiter zu kümmern. Ihr Herz bestimmte die Richtung. Wie ihre Mutter führte auch sie Tagebuch, aber nicht ganz so streng und sachlich. Stattdessen versuchte sie
sich mutig an kleinen literarischen Texten, eine Herausforderung, der sich die Comtesse d’Angoulême nie gestellt hatte. Für ein paar geraubte Küsse, die sie ihm nicht verweigern würde, könnte sie der gebildete junge Mann bei ihren literarischen Versuchen unterstützen.
    Marguerite fühlte sich äußerst wohl. Höfliche Gesten, galante Rendezvous oder romantische Tête-à-Têtes, erst möglich geworden, seit die beginnende Renaissance Anstand und Sitte neuen Einflüssen unterzog, waren ganz nach Marguerites Geschmack, und sie hatte sich fest vorgenommen, davon so viel wie möglich zu erleben.
    Clément Marot war wirklich sehr charmant. Überdies schien er ziemlich raffiniert zu sein, weil er nicht gleich auf den verlockenden Vorschlag reagierte, den sie ihm eben unterbreitet hatte, sondern vermutlich später wieder darauf zurückkommen wollte.
    »Wie es heißt, seid Ihr gern und viel auf Reisen«, sagte er und kam der Duchesse d’Alençon ganz nahe. »Ist das wahr?«
    »Ja, ich bin eben gern unterwegs und genieße es, mit jeder Drehung des Wagenrads eine neue Landschaft zu entdecken.«
    »Man sagt aber, dass Ihr viel lieber hoch zu Ross als mit der Kutsche reist.«
    »In meinem Bruder, mit dem ich aufgewachsen bin, hatte ich einen hervorragenden Reitlehrer. Außerdem liebe ich Pferde und

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