Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
und lieb gewonnenen Haus zu trennen, wollte sie doch unbedingt bei Alix bleiben. Der alten Haushälterin kamen die Tränen, wenn sie daran dachte, was sie alles im Haus des alten Maître Bertrand erlebt hatte, der Alix und Jacquou bei sich aufgenommen hatte, als sie aus Flandern zurückgekommen waren und weder Bleibe noch Werkstatt hatten.
Was hätte sie ohne Alix anfangen sollen, die sie wie eine Tochter liebte, und ohne Nicolas und Valentine, die sie aufgezogen hatte? Und ohne die kleine Mathilde, die ihr auch schon sehr ans Herz gewachsen war?
Eigentlich hätte sie ihren Lebensabend lieber an dem vertrauten Ort verbracht. Aber Alix hatte ihr in einem ihrer nicht seltenen Anfälle von Großmut ein geräumiges, helles Zimmer versprochen, in das sie sich zurückziehen könnte, wenn ihre alten Knochen einmal nicht mehr recht mitmachen wollten.
Während die Bertille also die Entscheidung, das Haus an der Place Foire-le-Roi aufzugeben, ohne Murren akzeptiert hatte, hatte sie sich doch ein wenig gesträubt, als Alix ihr eröffnet hatte, sie würde eine Kinderfrau für ihre Töchter suchen, weil sie sie unter ständiger Aufsicht haben wollte. Nach einigen mit Grübeln verbrachten schlaflosen Nächten war sie aber zu dem Schluss gekommen, dass sie es nicht ertragen würde, wenn sie schuld daran wäre, dass einer der Kleinen etwas zustieße. Die Angst davor würde ständig wie ein Damoklesschwert über ihr schweben.
Und während Mathias ein neues Haus suchte, wollte Alix eine neue Werkstatt kaufen und dort mit Goldfaden weben. Das
war eine kostspielige Angelegenheit, die sich die anderen Weber von Tours nicht leisten konnten. Seit die Mortagne an Bedeutung und Einfluss verloren hatten, gab es nicht mehr viele Weber in Tours, weil sich einige den Pariser Webern im Faubourg Saint-Marcel, die anderen den Werkstätten im Norden angeschlossen hatten.
Mit echtem Goldfaden zu weben war Alix’ größter Traum, ja fast so etwas wie eine fixe Idee. Nie hatte sie Goldfaden kaufen können, weil er viel zu teuer war, und musste deshalb immer mit einem Trick arbeiten, den ihr Jacquou verraten hatte, der ihn wiederum von seinem Onkel, Kardinal Jean de Villiers, kannte. Jetzt war sie endlich vermögend genug, um sich gesponnenes Gold leisten zu können.
Bislang hatte Alix oft und gern die orientalische Webtechnik eingesetzt, die aus Konstantinopel stammte und die sie für ihre eigenen Teppiche weiterentwickelt hatte. Je nachdem wie intensiv ihr Gold werden sollte, wählte sie bestimmte Gelb- und Blautöne oder Gelb- und Rottöne und verdrillte ihren Wollfaden anschließend auf ganz besondere Art und Weise mit dem glänzenden zweifarbigen Seidenfaden, dass er im fertigen Teppich wie echter Goldfaden aussah.
Nachdem Alix nun aber zu den angesehenen Webern der Touraine und des Nordens zählte und es ihre Mittel erlaubten, wollte sie François d’Angoulême, den künftigen König von Frankreich, beeindrucken, der sich wohl kaum mit dem Anschein von Gold zufrieden geben würde. Der Sohn von Louise liebte alles, was funkelte und glänzte. Er schwärmte für Samt und Seide, Satin und Goldstoff.
Da es bislang nur wenige Goldspinnereien gab – zwei in Lyon, eine in Tours, zwei im Departement Creuse und einige wenige
in Florenz und in Rom –, drohte sich der Markt nicht übermäßig zu entwickeln. Weil das Ausgangsmaterial sehr kostspielig war, konnten sich nur Werkstätten, die ausschließlich für die europäischen Königshöfe arbeiteten, echten Goldfaden leisten. Und ehe der neue König von Frankreich den Aufschwung des Goldfadens begünstigen würde, musste sich Alix auf die unvermeidliche Konkurrenz einrichten, die heftig und vielleicht auch feindselig zu werden versprach.
Deshalb wollte Alix also, sobald sie den Diebstahl der Galanterien aufgeklärt hatte, ihren Plan von einer Werkstatt für Goldfaden in die Tat umsetzen und Mathias mehr Verantwortung für die anderen Werkstätten abtreten. Ihre Heirat hatte den Weber übrigens geradezu beflügelt; er war wieder hoffnungsvoll, willensstark und ehrgeizig wie früher und hatte oft kühne Ideen.
Mit Alix an seiner Seite entwickelte sich Mathias zu einem bedeutenden Webermeister. Er hatte wieder Lust bekommen zu reisen, um Kunden anzuwerben und Pläne zu schmieden. Plötzlich verstand er sich als Kopf eines mittlerweile großen Unternehmens, das er immer schon in Alix’ Abwesenheit geleitet hatte, nachdem sie Witwe geworden war.
Mathias genoss sein neues Glück als verliebter
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