Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
nachmachte; und vor allem regte er sich über die fragenden Mienen auf, wenn es darum ging, die beiden auseinanderzuhalten.
Er verstand nicht, wie man sie überhaupt verwechseln konnte. Seinem Vater passierte das aber ständig, besonders wenn sie Mützen aufhatten. Und Alix erging es nicht anders. Sie konnte ihre Töchter meistens auch nur an ihren verschiedenen Frisuren unterscheiden.
Insgeheim machte sich Nicolas über ihre Verwirrung lustig und sagte sich zufrieden, dass er der Einzige war, der seinen kleinen Schützling immer ohne Schwierigkeiten erkannte. Wie konnte man nur übersehen, dass sie völlig unterschiedliche Augen hatten?
Valentine sah ihn ganz anders an als ihre Schwester. Sie schien sich immer nach der Liebe zu sehnen, die er ihr geschenkt hatte, seit sie in den Armen ihrer Mutter aus Italien gekommen war.
Mathilde war zwar nett zu ihm, aber viel zu frech und eigenwillig und duldete schon jetzt keinen Widerspruch. Nicolas hatte immer den Eindruck, sie war nur freundlich zu ihm, um Valentine zu gefallen, die sie abgöttisch liebte. Umgekehrt war es nicht anders, weil jede Schwester Spiegelbild der anderen war.
Weil sie dauernd zusammen waren und jede noch so kurze Trennung nach Möglichkeit vermieden, hatte Nicolas nur äußerst selten die Gelegenheit, mit Valentine allein zu sein und ihre frühere Vertrautheit zu genießen.
Außerdem war im Haus nichts mehr so wie früher. Neue Gewohnheiten hatten sich eingebürgert, die Worte bekamen einen anderen Sinn, und es wurde viel lauter gelacht. Nicolas kam alles so fremd vor, dass er sich manchmal fragte, ob er vielleicht erwachsen werden musste, ehe seine Kindheit zu Ende war.
Froh war er dagegen über den ausgeglichenen Eindruck, den Alix machte, und die glückstrahlenden Augen seines Vaters. Zwei heitere, entspannte Gesichter, die er so oft misstrauisch, verärgert oder verzweifelt erlebt hatte.
Ach, ohne die Neuigkeiten, die seine Valentine so sehr verändert hatten, wäre Nicolas bestimmt der glücklichste Junge auf der ganzen Welt gewesen. Wie sehr hatte er sein früheres Leben geliebt, auch wenn er jeden Monat einmal eine lange Nacht damit hatte zubringen müssen, die Kleine zu beruhigen, wenn sie wieder einen ihrer alptraumartigen Anfälle hatte.
Noch etwas hatte sich verändert, seit Mathilde bei ihnen war. Weil die Geschäfte gut gingen und sich sein Vater ganz andere Freiheiten als früher nahm, hatte der nämlich erklärt, ihr Haus sei jetzt zu klein für die große Familie. Die beiden Mädchen hätten nicht genug Platz und Nicolas wäre ja nun ein großer Junge, der ein eigenes Zimmer brauchte.
Da musste der Junge einsehen, dass er Valentine nicht mehr beschützen musste, weil sie keinen Anfall mehr bekommen würde, genauso wenig wie ihre Schwester. Weil sich die Zwillinge dank einer schicksalhaften Fügung wiedergefunden hatten, würden sie ihr Leben nun gemeinsam regeln und brauchten ihn dafür nicht.
Nicolas war vollkommen durcheinander, und die Grundfesten, die das Fundament seines Lebens bildeten, schmolzen dahin wie Schnee in der Sonne. Aber das Leben verlangte sein Recht, und Nicolas begriff sehr bald, dass er die Welt der Kindheit verlassen und erwachsen werden musste, womit sich offenbar alles änderte, sogar Valentine.
Eines Tages machte sich Mathias daran, ein großes Haus für seine kleine Familie samt Pierrot und Bertille zu suchen. Vor den Kosten schreckte er nicht zurück. Es sollte ein schönes, geräumiges Steinhaus sein, mitten in Tours im Viertel der Notabeln, mit einem Stall, groß genug für die beiden Maultiere, die fünf Pferde und die drei Wagen. Es sollte mehrere Nebengebäude haben und einen schönen Garten mit Wegen, Bäumen und Blumen, die je nach Jahreszeit geheimnisvoll dufteten.
Nachdem Alix seine Entscheidung gebilligt hatte, wurde alles genau geplant. Ihr altes Haus in der Rue Foire-le-Roi wollten sie Julio und Angela überlassen, die geheiratet hatten und eine große Familie gründen wollten.
Das bürgerliche Stadthaus, das Alessandro Alix vermacht hatte, sollte ein Notar verwalten und vielleicht vermieten, bis es in den Besitz der Zwillinge überging, weil es ursprünglich das Haus ihres Vaters war. Auch wenn Alessandro wegen seines allzu frühen Todes seine Töchter nie zu Gesicht bekommen hatte, wollte Alix ihnen dieses Erbe beizeiten übergeben. Dafür behielt sie
das Haus in Brügge, das sie nach Belieben vermieten oder verkaufen konnte.
Auch wenn es Bertille schwerfiel, sich von dem alten
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