Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
Lust auf die Hauptstadt, die Seine, die Rue Saint-Jacques, das Weberviertel und das Viertel der Illuminierer. Dort habe ich mich wie früher, wenn du unterwegs warst, einfach treiben lassen. Das habe ich gebraucht.«
Sie wusste nicht, ob sie staunen oder sich sorgen sollte.
»Aber warum nur?«
»Ich hatte etwas Abwechslung nötig.«
Sie machte einen Schritt auf ihn zu, aber er rückte von ihr weg.
»Geh jetzt schlafen, Nicolas«, lenkte er ab, »und sag der Bertille, sie soll dich zudecken.«
»Tania soll das machen. Aber ich will Valentine noch einen Gutenachtkuss geben.«
»Ich komme mit«, erklärte Alix und ging mit ihm in Valentines schönes, großes Zimmer. Tania schlief neben dem kleinen Mädchen. Sobald Alix ihre Tochter auf den Arm genommen hatte, begann die Kleine zu brabbeln und herumzuzappeln.
»Sie freut sich, dass Ihr da seid, Dame Alix«, meinte Tania, die sofort aufgewacht war.
Alix drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn, woraufhin die Kleine zu lachen begann. Valentine war ein fröhliches und aufgewecktes Kind. Hätte sie nicht diese schrecklichen, nahezu hysterischen Anfälle, unter denen sie einmal im Monat litt, wäre sie das normalste Kind der Welt gewesen.
Immer um die gleiche Zeit bekam sie schreckliche Krämpfe
und Zuckungen. Sie brüllte und schrie und weinte, und kein Mensch konnte sie dann beruhigen. Und niemand wusste, ob es ein körperliches oder ein seelisches Leiden war. Der Doktor hatte zwar eine chronische Epilepsie diagnostiziert, wusste die Symptome aber auch nicht recht zu deuten. Jedenfalls hatte sie während der Anfälle nie Schaum vor dem Mund und wurde auch nicht steif.
Alix war schon seit Längerem aufgefallen, dass Valentines Anfälle immer zur gleichen Zeit auftraten, also an den Tagen des Monats, als sie geboren war. Dachte sie länger darüber nach, brach ihr kalter Schweiß aus, und ihr Herz begann zu rasen, ohne dass sie wusste, warum. Zu viele Versatzstücke fehlten ihr, als dass sie die Frage hätte beantworten können. Also nahm sie die kleine Valentine nur immer auf den Arm, versuchte vergeblich sie zu beruhigen und flüchtete sich schnell in ihre Arbeit.
»Wie hübsch du bist, mein Liebchen!«, sagte Alix und küsste sie wieder.
»Ich glaube, wir sollten sie jetzt in Ruhe lassen, Dame Alix«, meinte Tania unsicher. »Nach ihren Anfällen braucht sie immer sehr viel Schlaf.«
Alix wollte das junge Mädchen ansehen, aber die wich ihrem Blick aus. Warum konnte sie ihr nie in die Augen sehen, wenn Valentine wieder eine ihrer nervösen Attacken hatte? Und warum lag ihr eigentlich so viel daran, sich persönlich um das kleine Mädchen zu kümmern, anstatt das Teppichweben zu erlernen, das sie so begeisterte? Philippe, der sich offenbar in sie verliebt hatte, wurde jedenfalls nicht müde, ihr seine Dienste als Lehrmeister anzubieten.
Alix legte ihre Tochter in ihr Bettchen zurück, deckte sie zu und schaute sie noch einmal an. Dann gab sie Nicolas einen
Gutenachtkuss und ließ die drei allein. Mathias saß noch immer am Esstisch und machte keine Anstalten, zu Bett zu gehen. Nachdem sie den Tisch abgeräumt und saubergemacht hatte, war Bertille schlafen gegangen. Vielleicht fanden ihre beiden Schützlinge ja heute Abend endlich zusammen, hatte sie sich gedacht.
Eine Weile sahen sie sich abwartend an. Alix fragte sich, was er in Paris verloren haben mochte, und Mathias suchte in ihren Augen nach dem Funkeln, das er so oft entdeckt hatte, als sie mit Alessandro zusammen war.
»Willst du mir jetzt sagen, warum du nach Paris gefahren bist, Mathias?«
Jetzt wurde sein Blick beinahe herausfordernd.
»Frage ich dich etwa, warum du so lange beim Duc d’Amboise geblieben bist, Alix? Ich sagte bereits, dass ich weggefahren bin, weil du nicht zurückgekommen bist.«
»Heißt das, du fährst jetzt jedes Mal weg, wenn ich nicht zu Hause bin?«
»Jedes Mal, wenn du bei Charles d’Amboise bist, wolltest du wohl sagen!«
Den Namen hatte er besonders betont und musterte sie jetzt streng, wie um sich zu vergewissern, dass nichts zwischen den beiden war, aber sein Instinkt täuschte ihn nicht. Er kannte Alix viel zu gut und ahnte sofort, dass sie ein Verhältnis mit Charles hatte.
»Warum bist du noch mal nach Chaumont gefahren?«
»Das habe ich dir doch gesagt. Um die Teppiche aus der Serie über das Höfische Leben zu holen, die wir fertigweben sollen. Ich habe sie in die Werkstatt bringen lassen. Willst du sie sehen?«
»Gehen wir rüber«, sagte er
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