Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
sie weiß, dass ich sie reite!«
Marguerite musste wieder lachen und neigte ihren Kopf anmutig zu der Seite, auf der ihr Kleid in schönen Falten über die Flanke der grauen Zelterstute fiel.
»Also dann – bis später, und mach dir keine Sorgen! Ich nehme dich mit, wenn ich in die Wälder reiten will«, rief sie dem Reitknecht noch zu, während sie Attalante schon die Sporen gab, und ließ Philibert einfach stehen, der sich nachdenklich am Kopf kratzte.
Kaum hatte sie das Burgtor hinter sich gelassen, als sie auch schon der wilde und dennoch beruhigende Rausch überkam, den sie nur allzu gut kannte.
Attalante wurde immer schneller, und die Blätter der Bäume
schossen nur so an ihr vorüber. Jetzt fehlte ihr nur noch François zu ihrem Glück. François mit Pegasus, seinem feurigen Bearnerpferd, das so tollkühn war wie sein Herr.
Die Landschaft hatte trotz allem ihre Reize. Hügelauf und flusswärts erstreckten sich die Ländereien ihres Mannes um Alençon. Die Wiesen und Felder lagen noch ohne Frühlingsgrün da, und über ihnen breitete sich ein unglaublich weiter grauer Himmel aus, unter dem alles noch leerer wirkte. Hinter dem Schloss zogen sich ausgedehnte dichte Wälder hin.
Plötzlich zügelte Marguerite ihr Pferd und ließ es langsam traben. Sie hatte einen unbekannten Weg gewählt, und beim Anblick dessen, was sich da vor ihr auftat, glaubte sie ihren Augen nicht zu trauen. Über den Ufern der Briante thronte ein vielleicht zweihundert Jahre alter Burgfried aus dem Mittelalter und zeichnete sich dunkel vor dem hellgrauen Himmel ab. Das gewaltige Gemäuer, dem man ansah, dass es seit Jahrhunderten Wind und Wetter trotzte und das nur so vor Schießscharten, Wachthäuschen und Pecherkern strotzte, verschlug Marguerite die Sprache.
Sie hielt ihr Pferd an und ließ Attalante eine Kehrtwendung machen, damit sie das mittelalterliche Gebäude besser betrachten konnte.
Sie hatte das Gefühl, in einer völlig fremden Welt angekommen zu sein. Auf dem Schloss war alles wie früher. Keine einzige Spur zeitgenössischer Kultur war zu sehen, nicht der kleinste Hinweis darauf ließ sie hoffen.
Wie sollte man in diesem strengen Gebäude, das vermutlich einmal als Garnison oder als Alterssitz für Betschwestern gedient hatte, irgendetwas verändern?
Wie sollte man dort Feste feiern?
Attalante begann zu tänzeln.
Feste feiern auf Château d’Alençon! Wann denn und mit wem, wen konnte sie einladen? Auf ein Schloss ohne Tanzsaal, ohne Musikzimmer, ohne Jeu de Paume. Was konnte man hier spielen? Welchen Vergnügungen konnte man sich hingeben? Abgesehen von den Würfel- und Kartenspielen der Soldaten gab es auf dem Schloss weder Reifen noch Federbälle oder Schläger, Kegel oder Billard. Ja nicht einmal Corbillon, das kluge Reimspiel, das sie so gern mochte, konnte sie spielen, weil es ihr hier an gebildeten Mitspielern fehlte.
Das Schloss ihres Mannes war nichts anderes als eine Ansammlung von Waffenkammern und dunklen Gängen, die zu ebenso dunklen Sälen führten, deren Wände mit Hellebarden, Lanzen und Schwertern behängt waren.
Ihre Schwiegermutter hatte sich schon vor langer Zeit ein Refugium geschaffen, bestehend aus einem düsteren Salon, von dem aus man durch eine schwere Tür hinter einem dunklen Wandvorhang in ihr Schlafzimmer und von dort aus ins Oratorium gelangte.
Eine kleine Bibliothek mit frommen Büchern in abgegriffenen Ledereinbänden und ein Klosett, in dem Wasserkanne und Wasserschüssel für ihre morgendlichen Waschungen bereitstanden, ergänzten ihr kleines Reich.
Allerdings verbrachte die alte Frau die meiste Zeit des Tages in ihrem Oratorium oder in der Schlosskapelle, und zwar meist in Gesellschaft einiger Kuttenträger, die auf einen Obulus aus waren.
Marguerite konnte die scheinheiligen und boshaften Mönche, die ihre Schwiegermutter sehr schätzte, nicht ausstehen. In ihren hässlichen staubgrauen Kutten tauchten sie ständig auf,
wichen der alten Herzogin nicht von der Seite und waren ebenso habgierig wie scharfzüngig.
Attalante bockte ungeduldig, weil sie die Aufmerksamkeit ihrer Herrin verlangte. Marguerite seufzte, nahm wieder die Zügel, klopfte ihrer Stute den Hals und ließ sie galoppieren.
Hinter einer Wegbiegung sah sie hoch oben über dem Tal einen Flügel des alten Gemäuers, den sie noch nie gesehen hatte. Die verfallenden Türme ragten wie uneinnehmbare Festungen in den Himmel, umgeben von einer Stadt aus Granit und Schieferdächern über steil abfallenden grauen
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