Die Blumenweberin: Roman (German Edition)
Pierrot nicht einmal kennengelernt hatte, und als der in den Mailänder Kriegen gestorben war, hatte sie ihn gegen einen Herzog eingetauscht, der seinem Stande nach überhaupt nicht zu einer Handwerkerin passte. Mit dem Ergebnis, dass der sich eine weitere Geliebte aus dem reichen Bürgertum zulegte und, als diese sich mit einem angesehenen Bankier verheiratete, zu seiner Frau zurückgekehrt war und ihr noch ein Kind gemacht hatte.
Dem aufmerksamen und neugierigen Pierrot war nichts von dem entgangen, was sich in den letzten Monaten zugetragen hatte. Manchmal schickte er sogar den kleinen Nicolas los, um noch mehr zu erfahren. Das Kind erzählte ihm dann scheinbar alltägliche Begebenheiten, die Pierrots Neugier stillten. Von Nicolas wusste er zum Beispiel auch, dass Alix und Mathias genau seit dem Abend nicht mehr miteinander redeten, an dem sie den Kindern gemeinsam gute Nacht gesagt hatten. Und Nicolas begriff in kindlicher Unschuld nur, dass sein Vater unglücklich und Alix nicht mehr wie früher war.
Beide verbarrikadierten sich hinter ihrem Schweigen, keiner wollte nachgeben. Wahrscheinlich schämten sie sich dafür, so die Kontrolle verloren zu haben. Mathias, weil er so grob zu Alix gewesen war, und sie, weil sie ihn zornig und unduldsam behandelt hatte. Sie musste allerdings zugeben, dass er mehr Anlass gehabt hatte sich zu ereifern. Schließlich hatte sie ihn mehr als genug mit ihren Liebhabern, ihren Reisen und ihren verliebten Blicken provoziert.
Aber warum nur hatte Mathias sie dafür mit der jungen und verführerischen Frau verhöhnt, die er in Paris traf? Noch immer fuhr er gelegentlich dorthin, kam aber sonderbarerweise, genau wie Alix, immer wieder zurück. Seine Reisen fanden jedoch nur noch sporadisch statt, und er blieb jetzt immer nur wenige Tage weg. Irgendwann fragte sich Alix, ob die Frau womöglich verheiratet war. Die Vorstellung tröstete sie ein wenig, weil sie hoffte, Mathias würde ihrer eines Tages überdrüssig. Dennoch bekümmerte es sie sehr, dass er die Unbekannte, wenn auch nur selten, seit beinahe zwei Jahren aufsuchte.
Zwischen ihnen war alles geregelt. Sie wagten sich nicht einmal mehr in die Augen zu sehen und begegneten sich mit einer
Kälte, die sie noch wenige Jahre zuvor nicht für möglich gehalten hätten.
Erst Valentines Verschwinden veränderte alles. Obwohl das Kind quasi immer guter Laune war und sich bester Gesundheit erfreute, hatte es nach wie vor jeden Monat um die gleiche Zeit seine unbegreiflichen hysterischen Anfälle, die Nicolas mit seiner fürsorglichen Art zu lindern suchte.
Doch das Leben sollte eine Wendung nehmen, deren Ursachen und Konsequenzen Alix nicht im Entferntesten ahnte, auch wenn sie, seit sie mit der kleinen Valentine aus Italien zurückgekommen war, insgeheim gespürt hatte, dass eines Tages etwas Seltsames geschehen würde.
An Aufträgen mangelte es ihnen jedenfalls nicht. Regelmäßig traf sie sich mit Julio, der Angela geheiratet hatte und mit ihr zusammen das Kontor für die Handelsbeziehungen mit Brügge und Florenz führte.
Ihre Werkstätten hätten nicht besser gehen können, und Kardinal Jean de Villiers, ihr Onkel und wichtigster Auftraggeber in Rom, vergaß sie nicht. Manchmal traf zusammen mit einer Bestellung des Vatikan oder einer römischen Kirche ein Brief mit herzlichen Grüßen des Malers Raffael bei ihr ein, in dem er sich nach dem Wohlergehen der jungen Weberin aus Tours erkundigte. Ein andermal schrieb ihr der Onkel von dem großen Michelangelo, der auf Wunsch von Papst Julius II. nach Rom gekommen war, um die Sixtinische Kapelle fertigzustellen. Dann saß Alix ganz still da, schloss die Augen und versuchte sich die beiden großen Meister vorzustellen, die sie in Florenz kennengelernt hatte.
Einzig Julio, dem Genueser, der bei Jean de Villiers aufgewachsen war, gelang es hin und wieder, ihr ein wenig Mut zu
machen. Unermüdlich versicherte er ihr, dass auch sie irgendwann wieder glücklich sein würde.
Dabei konnte sie sich kaum vorstellen, dass es so etwas wie Glück für sie überhaupt noch geben würde – vor allem seit dem Morgen, als sich die Dinge überstürzten und seit dem sie schlaflose Nächte verbrachte.
Alix saß wie immer mit Pierrot und Philippe an einem Hochwebstuhl und arbeitete an Augustus und die Sybille , einem sehr großen Wandteppich und wichtigen Auftrag. Nachdem Alix ihre Jungfrauen und Sybillen und ihre Jungfrauen des Vatikan fertiggestellt hatte, war ihr großer Teppich aus einer
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