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Die blutende Statue

Die blutende Statue

Titel: Die blutende Statue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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erscheinen und begann, mit dem Taschenrechner die Zinsen neu zu kalkulieren. Dafür brauchte er gut zwei Minuten. Das heißt drei, weil er alles gleich noch einmal durchrechnete. Nein, vier, weil er die Zahlen ein drittes Mal durchging.
    »Das ist nicht wahr.«
    »Was ist denn los?«
    »Da... Da fehlen fünf Centimes.«
    Einen Moment lang sagte keiner etwas. Der Bankier und der Polizist blickten sich an. Beide dachten dasselbe, ein schrecklicher, Schwindel erregender Gedanke. Schließlich ergriff Inspektor Lucchino das Wort.
    »Wie viele Berechnungen dieser Art werden täglich in der Hauptgeschäftsstelle vorgenommen?«
    »Keine Ahnung. Mehr als zehntausend, vielleicht zwanzigtausend.«
    »Zwanzigtausendmal fünf Centimes, das macht hunderttausend Centimes pro Tag, also tausend Franc. Insgesamt dreißigtausend Franc (viertausendfünfhundert Euro) im Monat!«
     
    Der Leiter der Informatik-Abteilung in der Hauptgeschäftsstelle der Bank nahm den Besuch von Inspektor Lucchino nicht auf die leichte Schulter. Er war vom Direktor der Filiale vorgewarnt worden und hatte bereits Nachforschungen angestellt.
    »Wie viele Leute kümmern sich um die Sparkonten?«
    »Drei, aber ich habe einen von ihnen in Verdacht, und zwar den Mann, den wir zuletzt eingestellt haben: Patrick Chevalier.«
    »Haben Sie etwas an seiner Buchführung auszusetzen?«
    »Nein. Er ist ein genialer Informatiker. Wenn er es war, hat er ein System entwickelt, das praktisch unaufspürbar ist. Mich macht nur stutzig, dass er sich einen neuen Wagen gekauft hat.«
    »Das finden Sie verdächtig?«
    »Das Problem ist, dass ich mich frage, wovon. Er hat sein Konto hier bei uns, aber darauf hat es keine Geldbewegung gegeben, die einem solchen Ankauf entspricht.«
    »Vielleicht hat er noch ein Konto bei der Konkurrenz?«
    »Darauf zahlt er jedenfalls nicht sein Gehalt ein. Das wird auf unser Konto überwiesen.«
    »Vielleicht stammt das Geld von seiner Frau?«
    »Er ist Junggeselle.«
    »Dann eine Erbschaft, ein Geschenk oder eine spendable Freundin...«
    »Möglich. Ich gebe Ihnen nur diese Information. Herauszufinden, wie sein elektronischer Schwindel funktioniert, wird nämlich schwierig sein und könnte ihn darüber hinaus warnen.«
    Der Abteilungsleiter nannte dem Inspektor sogar den Namen des Vertragshändlers, den er sich als gewissenhafter Mensch vom Nummernschild notiert hatte. Der Polizist beschloss, auf der Stelle dort anzurufen.
    Der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung wirkte nicht im Geringsten überrascht.
    »Es handelt sich um diesen Verkauf? Damit habe ich schon gerechnet.«
    »Was ist passiert?«
    »Der Käufer hat bar gezahlt. Die ganze Summe in Hundertfrancscheinen.«
    »Und was haben Sie getan?«
    »Wir haben die Scheine überprüft. Sie waren echt.«
    »Und das haben Sie uns nicht gemeldet?«
    Die Stimme des Vertragshändlers blieb höflich, aber bestimmt.
    »Es gibt kein Gesetz, das verbietet, in bar zu bezahlen. Im Gegenteil wäre es ein Delikt, den Kauf zu verweigern.«
     
    Das Nachspiel fand einige Minuten später im selben Büro statt. Als Patrick Chevalier zur Rede gestellt wurde, versuchte er zunächst zu leugnen, gestand aber schließlich alles mit dem Lächeln eines guten Verlierers.
    »Ich hätte nie gedacht, dass man mich nur wegen eines alten Nörglers erwischt. Das beweist, dass die alte Schule noch einiges für sich hat.«
    »Wie haben Sie das angestellt?«
    Patrick Chevalier stürzte sich in eine ganze Reihe technischer Erklärungen, die wir hier nicht wiedergeben wollen, einerseits weil sie zu kompliziert sind, andererseits um mögliche Nachahmer nicht auf dumme Gedanken zu bringen.
    Im Großen und Ganzen hatte er ein Computerprogramm entwickelt, das bei jeder Zinsberechnung automatisch fünf Centimes auf ein Geheimkonto überwies. Mit offensichtlichem Stolz schloss er: »Auf das Konto konnte keiner stoßen, weil niemand Zugang dazu hat.« Inspektor Lucchino stellte darauf eine nahe liegende Frage: »Und Sie?«
    »Ich habe mir eine Kreditkarte für das Konto angefertigt. Einmal pro Woche hab ich es dann am Geldautomaten abgeräumt.«
    So endete dank des Scharfsinns und der Halsstarrigkeit eines pensionierten Buchhalters die Karriere des jungen, talentierten Centimes-Diebes. Heutzutage haben die Banken eine Lehre aus dieser Geschichte gezogen und offenbar Vorkehrungen getroffen, damit so etwas in Zukunft unmöglich ist.
    Also ein guter Rat: Wenn Sie entdecken, dass bei Ihren Zinsen ein, zwei Cent fehlen, rechnen Sie

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