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Die blutende Statue

Die blutende Statue

Titel: Die blutende Statue Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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vollziehen. Schließlich widersprach sie dem Kirchenrecht, weil das Ziel der Ehe die Fortpflanzung ist. Dennoch ließ er sich überzeugen, wahrscheinlich durch eine großzügige Spende von Pierre Guerre. Wie dem auch sei, das Fest war gelungen und als man das frisch vermählte Paar abends ins Bett brachte, schliefen die beiden brav ein.
    Neun Jahre verstrichen. Die beiden Kinder wuchsen heran, allerdings auf völlig unterschiedliche Weise. Bertrande blühte zu einer brünetten Schönheit auf, kerngesund und lebenslustig, während sich Martin eher zu seinen Ungunsten entwickelte. Er war kränklich, verwachsen und nach einer Hautkrankheit, wahrscheinlich Akne, von Narben zerfurcht. Um seinen Charakter war es auch nicht besser bestellt, da er verschlossen, launisch und einfältig war. Und um allem die Krone aufzusetzen, war er dazu noch impotent. Bertrande war also immer noch so jungfräulich wie mit zehn Jahren. Dabei konnte Martin von Glück sagen, dass sie ebenso fromm und brav wie schön war. Die jungen Burschen aus dem Dorf, die von ihrem Pech wussten und ihr den Hof machten, wies sie nämlich alle ausnahmslos zurück.
    Für die junge Frau wurde die Situation allerdings so unerträglich, dass sie den Pfarrer anflehte, ihr zu helfen. Dieser riet ihr, auf nüchternen Magen geweihtes Fladenbrot zu essen, was in solchen Fällen das beste Heilmittel sei. Ansonsten solle sie in Erwägung ziehen, sich von Martin zu trennen, da der Nichtvollzug der Ehe ein von der Kirche anerkannter Scheidungsgrund sei.
    Letztendlich war es jedoch unnötig, zu dieser extremen Maßnahme zu greifen. Kaum hatte Bertrande nämlich ihr Fladenbrot verspeist, erwachte wunderbarerweise die Manneskraft ihres Mannes, sodass sie neun Monate später einen Jungen namens Sanxi zur Welt brachte.
    Von dem Moment an plagten sie allerdings andere Sorgen. Auf einmal besaß Martin sogar einen Überschuss an Potenz. Er wurde flatterhaft, untreu. Nach mehreren flüchtigen Abenteuern unterhielt er ganz offen ein Verhältnis mit Rose Martin, der Tochter des Apothekers. Die im Stich gelassene und verhöhnte Bertrande begehrte auf, bis Martin Guerre nach einer etwas handgreiflichen Szene davonlief und mit geschultertem Bündel auf der Straße in Richtung Toulouse verschwand. Bertrande hielt das Ganze nur für einen Wutanfall, der bald wieder verrauchen würde. Sie wartete ein, zwei, drei Monate, doch nichts passierte. Man bedauerte sie wegen dieser Ehe, die ihr nichts als Verdruss eingebracht hatte. Aber man sagte ihr auch: »Der kommt wieder. Früher oder später kommt er zurück.«
     
    Weitere acht Jahre verstrichen. Schon lange hatte man es aufgegeben, der armen, schamlos verlassenen Bertrande falsche Hoffnungen zu machen. Man bedauerte sie von Herzen, weil sie einerseits ihren Mann verloren hatte, andererseits aber auch keine Witwe war und deshalb nicht wieder heiraten konnte. Das schien vor allem ungerecht, weil an ihr nichts auszusetzen war. Sie war tugendhaft und zog ihren Sohn auf bewundernswerte Art und Weise alleine groß.
    Eines schönen Morgens im Frühling waren ein paar Bauern aus Artigat gerade bei der Feldarbeit, als sich auf der Straße nach Toulouse ein sonnengegerbter Mann mit Vollbart näherte. Jemand rief: »Da kommt ja Martin Guerre!«
    Der Mann kam auf die Gruppe zu. Man rief ihn an: »Bist du es, Martin?«
    »Bei Gott ja, Guillaume. Ich bin’s.«
    »Wo hast du denn gesteckt?«
    »Im Krieg natürlich. Oben im Norden. Ich war bei der Belagerung von Saint-Quentin dabei.«
    Man umringte ihn sofort. Er redete alle beim Namen an und fragte jeden nach seiner Familie. Man bestürmte ihn mit Fragen. Er erzählte viel und erging sich in Einzelheiten über seine Feldzüge. Das verblüffte alle, weil Martin Guerre früher eher verschlossen und wortkarg gewesen war. Als man ihn darauf ansprach, lachte er laut.
    »Das macht der Krieg! Der Krieg verändert einen Mann.«
    Zögernd fügte er hinzu: »Geht es Bertrande gut?«
    »Sie hat auf dich gewartet und ist schöner denn je.«
    »Und Sanxi?«
    »Dein Sohn ist ein Prachtbursche. Den erkennst du nicht wieder.«
    Ohne zu zögern, ging Martin Guerre auf sein Haus zu. Vor den zusammenströmenden Dorfbewohnern kam dann der große bewegende Moment. Bei seinem Anblick fiel Bertrande fast in Ohnmacht. Mit ausgebreiteten Armen ging er auf sie zu: »Bertrande!«
    Nachdem sie einen Moment gestutzt hatte, lief sie ihm entgegen. Nach langen Herzensergüssen nahm sie ihn bei der Hand.
    »Komm und schau dir an, wie

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