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Die Bluterbin (German Edition)

Die Bluterbin (German Edition)

Titel: Die Bluterbin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Burri-Bayer
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möchtet“, stieß er schließlich hervor.
    Joinville unterdrückte ein Grinsen. Er glaubte zu wissen, worauf der König eigentlich hinauswollte, und er sollte recht behalten.
    „Was meint Ihr, mein lieber Joinville, findet Ihr nicht auch, dass diese reich gedeckte Tafel viel zu groß für drei Männer und ihren bescheidenen Appetit ist?“
    Joinville zwinkerte dem König zu.
    „Ich bin ganz Eurer Meinung, Sire“, gab er, so ernst es ihm möglich war, zur Antwort. „Vielleicht sollten wir noch einige Gäste zu uns laden?“
    Radulfus blickte unsicher von einem zum anderen. Er verstand noch immer nicht, worauf der König hinauswollte.
    Doch Ludwig ließ ihn nicht lange im Ungewissen.
    „Ich gehe doch recht in der Annahme, dass Ihr ebenso um Barmherzigkeit gegenüber unseren armen und kranken Brüdern bemüht seid wie ich?“, fragte er.
    „Das ist fürwahr eine unserer heiligsten Pflichten“, erwiderte Radulfus ohne große Überzeugung.
    „Dann werdet Ihr doch sicher nichts dagegen haben, einige dieser armen Brüder vom Vorplatz der Kathedrale zu uns an die Tafel zu bitten?“
    Er wies auf den mit Speisen überladenen Tisch.
    Belustigt sah Joinville, wie geschockt der Bischof von den Worten des Königs war. Seine Geiernase begann aufgeregt auf und ab zu zucken, und er setzte einige Male zum Sprechen an, bevor er endlich ein Wort herausbrachte. „Sire“, begann er endlich. „Wenn ich Euch richtig verstanden habe, wünscht Ihr, dass ich Krüppel, Bettler und vielleicht sogar Diebe in mein Haus einladen soll?“
    Er konnte es einfach nicht glauben.
    Der König lächelte ihm aufmunternd zu.
    „Ich sehe, Ihr habt mich verstanden und seid ebenso begierig darauf, Nächstenliebe auszuüben wie wir. Wir haben bald Ostern, und es wäre schön, wenn wir unsere Tischgesellschaft deshalb auf die Anzahl von zwölf Personen erweitern könnten.“
    Radulfus blieb keine andere Wahl. Er winkte einem der Diener.
    „Geht hinaus auf den Platz und bittet neun der Bettler, zu uns hereinzukommen“, befahl er ergeben.
    Der Diener verschwand, und es dauerte nicht lange, bis der erste in Lumpen gekleidete Bettler in der Türe erschien und sich verunsichert in dem kostbar eingerichteten Raum umsah. Sein Blick blieb auf der mit Leckereien überfüllten Tafel hängen.
    König Ludwig erhob sich und trat ihm entgegen.
    „Kommt näher, mein Bruder, und setzt Euch auf meinen Stuhl!“, forderte er ihn freundlich auf.
    Nacheinander betraten noch acht weitere zerlumpte Gestalten den Raum, deren strenge Ausdünstungen in Wettstreit mit dem köstlichen Duft der auf dem Tisch aufgetragenen Speisen traten.
    König Ludwig begrüßte jeden Einzelnen von ihnen wie einen fürstlichen Gast und geleitete ihn zu einem Stuhl an der Tafel.
    Die Bettler begriffen kaum, wie ihnen geschah. So etwas war ihnen bislang weder widerfahren, noch hatten sie jemals davon gehört, dass der Bischof auch nur einen von ihnen an seine Tafel geladen hatte. Sie warfen sich gegenseitig misstrauische Blicke zu, und man konnte ihren schmutzigen, unrasierten Gesichtern ansehen, dass ihnen die Situation, in der sie sich befanden, nicht ganz geheuer war.
    Schließlich hatten alle Bettler am Tisch Platz genommen und warteten mit knurrendem Magen darauf, was weiter geschehen würde. Es gelang ihnen nur mit Mühe, ihre Augen von den vor ihnen angerichteten Köstlichkeiten abzuwenden.
    Radulfus war der Appetit gründlich vergangen, doch er sagte nichts.
    Da sah ihn König Ludwig auffordernd an.
    „Wir brauchen eine Schüssel voll Wasser, um unseren Brüdern hier die Füße zu waschen, wie der Herr es uns gelehrt hat“, bemerkte er freundlich. Radulfus wurde blass. Das war der Gipfel. Erwartete der König etwa, dass er, Radulfus, ein Bischof und Gelehrter, diesen verwanzten Hungerleidern die schmutzigen Füße waschen würde?
    Aber es gelang ihm, seinen Zorn zu unterdrücken, und er befahl seinen Dienern, eine Schüssel mit Wasser zu bringen.
    Der Diener eilte hinaus und kehrte nur wenig später mit einer großen Tonschüssel wieder zurück. Der zweite Diener, der ihm gefolgt war, brachte feine trockene Leinentücher, die er zum Abtrocknen der Füße gleich neben die Schüssel hinlegte.
    „Worauf wartest du, wasch unseren Gästen endlich die Füße“, herrschte Radulfus den Diener an.
    Der Diener bückte sich gehorsam, um den Befehl seines Herrn auszuführen, doch König Ludwig hielt ihn zurück.
    „Das werde ich übernehmen“, sagte er und begann, dem ersten Bettler die

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