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Die Blutgabe - Roman

Die Blutgabe - Roman

Titel: Die Blutgabe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Rubus
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Fehler gemacht hatte.

Kapitel Sechzehn
    Forschungsstation White Chapel, Kenneth, Missouri
     
    Der Abend war herabgefallen und hüllte die Stadt am Fuß des Hügels in mattes Blau.
    Blue stand am Fenster, als Kris ihre Zelle betrat. Ihre weißen Finger umklammerten die Gitterstäbe. Sie wandte sich nicht um, obwohl sie ihn bemerkt haben musste. Der Abendwind blähte das Nachthemd um ihre dürre Gestalt. Ihre Wunden waren verheilt, und die Verbände, die Kris ihr angelegt hatte, hingen lose und nutzlos von ihren Armen und Schultern. Doch die kahle Stelle an ihrem Hinterkopf war noch deutlich zu sehen.
    »Blue?«
    Beim Klang seiner Stimme zuckte sie fast unmerklich zusammen. Sie wandte den Kopf und sah über die Schulter zu ihm herüber. Ihre Augen waren groß, und selbst durch die Schatten konnte Kris die Verzweiflung darin erkennen.
    »Wer bist du?« Ihre Worte waren kaum mehr als ein Wispern.
    Ein Schauer lief über Kris’ Rücken. Seit dem Vorfall auf dem Dach stellte sie ihm diese Frage jedes Mal, wenn sie ihn sah. Es war das Erste, was sie gesagt hatte, als sie in ihrem Bett wieder aufgewacht war, ebenso wie am gestrigen Abend, als er sie besucht hatte. Bisher hatte er versucht, ihre Verwirrung auf die Nachwirkungen des Kampfes mit Sid zu schieben. Aber tief in seinem Inneren hatte Kris bereitsauf dem Dach gespürt, dass er dem Wächter damit Unrecht tat.
    Sie war körperlich wieder gesund. Aber ihr Geist war krank – auch wenn sie jetzt erwacht war. Und das war nicht Sids Verdienst.
    Langsam machte Kris zwei Schritte in den Raum hinein und schloss die Tür hinter sich.
    »Ich bin es«, sagte er nur. Gestern hatte das ausgereicht. Ein blasses Lächeln erschien auf Blues Lippen. »Kris.«
    Kris nickte und trat zu ihr ans Fenster.
    Blue wandte den Kopf wieder nach vorn und presste das Gesicht zwischen die Gitterstäbe. Kris blieb wortlos neben ihr stehen und folgte ihrem Blick. Kenneth lag unter ihnen, erfüllt vom lebhaften Treiben einer Samstagnacht. Lichter, Gerüche und Geräusche Tausender Vampire trieben mit dem Wind zu ihnen herauf.
    »Du bist Kris«, wiederholte Blue halblaut. »Aber wer bin ich?«
    Kris schwieg eine Weile. Während der ganzen Zeit, bevor sie erwacht war, hatte er darauf gewartet, ihr die Antwort auf diese Frage geben zu dürfen. In den letzten zwei Tagen nach ihrem Erwachen war sie zu schwach gewesen, um zu fragen. Jetzt also war es endlich soweit. Und trotzdem wagte Kris nun kaum, ihr die Wahrheit zu sagen. Wie würde sie darauf reagieren? Sie war nicht mehr Blue – nicht nur, weil sie ihre Erinnerung verloren hatte.
    »Das ist nicht so einfach zu erklären«, sagte er schließlich zögernd. »Wer bist du? Sag du es mir.«
    Die Haut spannte sich über Blues Knöcheln, als sie sich fester an die Gitterstäbe klammerte. Sie hob den Blick und sah Kris starr ins Gesicht.
    »Ich weiß es nicht«, flüsterte sie. »Aber ich weiß etwas anderes. Ich … will frei sein. Frei.« Ein schmerzvolles Lächeln verzerrte ihre Züge. »Du hast mich geliebt, bevor ich wahnsinnig wurde, nicht wahr? Ich kann es in deinen Augen sehen.«
    Kris öffnete sprachlos den Mund.
    Was sagte sie da?
    Nach einer kleinen Ewigkeit endlich schaffte er es, den Kopf zu schütteln. »Es tut mir leid, du irrst dich. Ich kannte dich kaum. Aber ich … kenne jemanden, der dich liebt.«
    Ein leerer Ausdruck trat in Blues Augen. Ihr Blick schien einfach durch Kris hindurch zu gehen.
    »Ich bin Frei«, murmelte sie wie zu sich selbst. »Du aber rufst mich mit einem anderen Namen. Warum tut er das? Weiß er etwa, wer ich war? Kennt er mein verlorenes Ich?«
    Kris zwang sich, ihrem Blick standzuhalten. Dass sie plötzlich in der dritten Person von ihm sprach, verwirrte ihn. Aber er bemühte sich, es zu ignorieren.
    »Ich kann dir erzählen, wer du warst«, sagte er so ruhig wie möglich. »Wenn du das möchtest.«
    Blue schüttelte den Kopf. Noch immer sahen ihre Augen in eine unbestimmte Leere. »Nein … nein. Ich bin Frei. Frei. Niemand sonst.«
    Völlig unvermittelt lösten sich ihre Hände von dem Gitter und griffen nach Kris’ Kragen. Er zuckte zusammen und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Doch Blue ließ nicht los. Der Blick ihrer gelben Augen kehrte zurück und bohrte sich in Kris’ Kopf, dass ihm schwindelig wurde.
    »Lass mich hier raus. Lass mich frei sein. Wenn du mich damals geliebt hast, dann lass mich jetzt gehen!«
    Speichel troff aus ihrem Mund. Sie hatte die wahnsinnigeStärke der Progressiven. Aber

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