Die Blutgabe - Roman
Blick von einem zum anderen, »… hätten wir vermutlich längst die Viren gefunden, die Katherine in ihrem Tagebuch beschreibt. Viren, die üblicherweise in der Bakteriologie als T-Phagen bekannt sind. Nur, dass sie in unserem Fall menschliche Leukozyten befallen.«
Lange Zeit sagte niemand ein Wort.
Cedric sah, wie es hinter den Stirnen seiner Kollegen arbeitete. Wie sie versuchten, die Ungeheuerlichkeit, die er ihnen dargelegt hatte, zu begreifen. Er konnte gut nachvollziehen, wie es in ihren Köpfen aussehen musste, ganz ohne seine Gabe zu bemühen. Ihm war es genauso gegangen.
»Natürlich ist das eine gewagte Theorie«, fuhr er schließlich fort, als niemand Anstalten machte, etwas zu sagen. »Aber wir haben eindeutige Hinweise auf ihre Richtigkeit schwarz auf weiß vorliegen. Uns bleibt jetzt die Aufgabe, weitere Ergebnisse zu sammeln, die diese Vermutungen stützen können. Daher möchte ich heute mögliche Versuchsansätze besprechen. Bitte – eure Fragen und Vorschläge.«
Lange Zeit antwortete ihm nur Schweigen.
Kris war der Erste, der schließlich die Hand hob. Cedric forderte ihn mit einem kurzen Wink zum Sprechen auf.
»Verstehe ich dich richtig«, sagte Kris langsam, »dass du der Ansicht bist, diese Phagen müssten auch in konservativem Blut zu finden sein? Und die Phagen in progressivem Blut wären demnach ein mutierter Stamm?«
Cedric nickte. »Das wäre meiner Meinung nach die logischste Erklärung.«
Pei Lins glatte Stirn kräuselte sich leicht. »Wenn das stimmt«, meinte sie leise, »dann … würde das nicht bedeuten,dass wir alle immer noch Menschen sind? Kranke Menschen? Tut mir leid, das zu sagen, aber … das werden viele nicht hören wollen.«
Cedric betrachtete sie nachdenklich. Sie hatte recht, dachte er. Natürlich war er sich bewusst, dass er, wenn er sich entschloss, seine – Katherines – Theorie zu vertreten, mit Widerstand vor allem von Seiten der Konservativen zu rechnen hatte.
»Und wir haben keine Genehmigung, mit konservativen Versuchsobjekten zu arbeiten«, fuhr Pei Lin fort. »Willst du einen Antrag beim Parlament stellen?«
Cedric spürte, wie sich eine Falte zwischen seinen Brauen bildete. Daran hatte er auch schon gedacht, und allein die Vorstellung löste ein Gefühl tiefen Widerwillens in ihm aus. Aber das wollte er vor seinen Mitarbeitern nicht zu offensichtlich werden lassen.
»Darum werden wir vermutlich nicht herumkommen«, sagte er daher so gelassen wie möglich. »Und was deine anderen Befürchtungen betrifft: Auch Darwins Ansichten sind am Ende akzeptiert worden, obwohl sich die Menschen lange mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben. Warum sollten wir das nicht auch können? Um ehrlich zu sein, ich habe nichts dagegen, ein zweiter Darwin zu werden.« Er versuchte, zu lächeln, aber es missglückte ihm kläglich.
Pei Lin antwortete nicht mehr. Sie schüttelte nur leicht den Kopf, ohne besonders überzeugt zu wirken. Das Widerstreben war ihr am Gesicht abzulesen. Nicht gut. Cedric war sich nun schon gar nicht mehr so sicher, ob es klug gewesen war, Pei Lin als seine neue Assistentin einzusetzen. Möglicherweise war sie zu konservativ. Er würde ein Auge auf sie haben müssen.
»Gehen wir also davon aus, wir bekommen die Genehmigung.« Er warf einen weiteren Blick in die Runde. »Wie gehen wir dann vor?«
Kris räusperte sich verhalten. »Also … bevor wir darüber nachdenken, hätte ich noch eine andere Idee.«
Cedric hob die Brauen. Natürlich. Von wem auch sonst hätte er das erwarten sollen? »Lass hören.«
»Wir könnten, so lange wir die Genehmigung noch nicht vorliegen haben, versuchen, die Infektion in vitro durchzuführen.« Kris verschränkte die langen Finger ineinander und neigte sich ein Stück vor. »Wenn ich dich richtig verstanden habe, handelt es sich um Viren, die nur im Anfangsstadium der Krankheit im Blut zu sehen sind und sich anschließend latent im Inneren der Zellen verbergen, bis sie in Kontakt mit nicht infizierten Zellen kommen. In diesem Fall müsste es doch aber möglich sein, den Vorgang auch im Reagenzglas zu beobachten. Außerdem werden mit hoher Wahrscheinlichkeit an der Oberfläche der infizierten Leukozyten Rezeptorproteine vorhanden sein, nach denen wir Ausschau halten können. Ich bin mit der Rechtslage nicht hundertprozentig vertraut, aber es sollte doch nichts dagegen sprechen, in steriler Laborumgebung einige Tests zu machen. Zumindest als Übergangslösung.«
Cedric runzelte die Stirn und
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