Die Blutgabe - Roman
Entscheidung war, Kris vollen Zugang zu den Unterkünften zu gewähren. Aber ihn stattdessen als seinen Assistenten einzusetzen – oder Janet, die viel zu unbeherrscht und außerdem viel zu jung für so eine Aufgabe war –, das konnte Cedric sich noch weniger vorstellen. Seine Nerven würden das unter keinen Umständen aushalten.
»Kein Widerspruch? Dann ist es beschlossen.« Er nickte knapp. »Kommen wir also zum zweiten – und wichtigeren – Punkt.«
Bei seinen letzten Worten hatte Cedric das Gefühl, als ob sich ein eisernes Band um seinen Brustkorb schlang und ihm die Luft abschnürte. Wichtiger, wiederholte er in Gedanken. Die Forschung war wichtiger als eine Tatsache, die er nicht mehr ändern konnte. Er musste jetzt nach vorn schauen. Und keine Schwäche zeigen.
»Katherine hat uns, als sie ging, etwas hinterlassen.« Er legte eine Hand auf das Tagebuch vor ihm. »Vermutlich habt ihr im Lauf der letzten Jahre mitbekommen, dass sie und ich uns gemeinsam bemüht haben, die Erinnerung an ihr menschlichesLeben wiederzufinden. Wir haben nicht viel darüber gesprochen, da diese Suche bis vor wenigen Tagen eine rein persönliche Angelegenheit war, die nur Katherine selbst betraf. Jetzt aber hat sie uns auf eine Spur gebracht, die ihre Erinnerungen zu einem Meilenstein der Forschung machen könnte.«
Cedric hob das Buch in die Höhe, so dass es alle besser sehen konnten.
»Dieses Notizbuch ist ein Tagebuch aus der Zeit, in der Katherine zum Vampir wurde. Und so, wie es aussieht, haben wir es in Katherines Fall nicht nur mit einer sehr alten Progressiven zu tun – sondern mit einer der allerersten Progressiven überhaupt. Dieses Tagebuch berichtet davon, wie die Bluterkrankheit nach Amerika kam.«
Cedric hörte Janet scharf einatmen. Und auch die anderen hatten sich bei seinen Worten unwillkürlich ein Stück aufgerichtet. Selbst Sid hatte aufgehört, an seinen Nägeln zu kauen.
»Katherine war einverstanden, dass der Inhalt des Buches als Grundlage für unser weiteres Vorgehen verwendet wird. Ich werde später Kopien von dem Text anfertigen, so dass ihr die Möglichkeit habt, ihn in aller Ruhe zu studieren. Zunächst möchte ich euch aber kurz über die wichtigsten Inhalte informieren und dann beraten, wie wir mit den Erkenntnissen umgehen.« Cedric spürte, wie seine Finger erneut zu zittern begannen, als er das Tagebuch zurück auf den Tisch legte und es auf der letzten Seite aufschlug. Er würde aufpassen müssen, dass sich die Aufregung nicht auf seine Stimme übertrug.
»Offenbar hat die Bluterkrankheit ihren Ursprung in einem Vampirstamm, der im peruanischen Regenwald lebt.Ein Vampirstamm, der – so vermute ich zumindest – über Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte hinweg isoliert war und exzessiven
Inzest
betrieben hat.« Cedric holte angestrengt Luft. Von diesen wahnwitzigen Entdeckungen zu sprechen, war aufwühlender, als er erwartet hatte. »Wenn man sich diese Beobachtung ein paar Mal durch den Kopf gehen lässt, drängt sich natürlich schnell der Gedanke auf, dass demnach für das Blutersyndrom eine durch den Inzest entstandene Mutation im Vampirgenom verantwortlich sein könnte. Vielleicht ist das der Fall. Aber die weitere Lektüre des Tagebuchs deutet noch auf etwas anderes hin. Sie lässt die Vermutung zu, dass gar nicht die Vampire selbst mutiert sind. Sondern das, was den Vampirismus auslöst.«
Unruhiges Murmeln von der anderen Seite des Tisches ließ Cedric verstummen.
»Entschuldige, Cedric.« Kris hob die Hand. Seine Stirn hatte sich in leichte Falten gelegt. »Ich will dich nicht unterbrechen, aber – was meinst du damit? Das, was den Vampirismus auslöst? Nach allem, was ich weiß, ist gar nicht bekannt, wie Vampirismus überhaupt entsteht, abgesehen davon, dass er durch Blutaustausch übertragen wird.«
Cedric lächelte grimmig. Er hatte diese Frage erwartet – sogar auf sie gehofft. Und er war gespannt auf die Reaktionen, die seine nächste Erläuterung auslösen würde.
»Das hast du gut beobachtet, Kris. Bisher war das der Stand der Forschung. Und man muss sich doch fragen – wieso hat bis heute niemand dieses Rätsel gelöst? Viele Forschungsgruppen haben sich daran die Zähne ausgebissen, und warum?« Er machte eine bedeutungsvolle Pause. »Weil wir, die doch sonst immer alles ganz genau wissen müssen, etwas Entscheidendes vergessen haben: Das Blut junger Vampire zuuntersuchen, bevor die Verwandlung abgeschlossen ist. Denn sonst …« Cedric sah mit eindringlichem
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