Die Blutgraefin
hatte, und dann, nachdem er dem
unglückseligen Geistlichen hinlänglich Gelegenheit gegeben hatte zu
begreifen, was er sah, hatte sich Blanche auch ihn geholt.
Andrej wagte es nicht, Abu Dun nach den Bisswunden des Vampyrs abzusuchen. Er glaubte, dass er nichts finden würde. Andrej
hatte am eigenen Leibe gespürt, wie leicht der Vampyr seinem Opfer
die Kraft stehlen, ihm das Leben und die Seele aussaugen konnte,
ohne auch nur einen Tropfen seines Blutes trinken zu müssen.
Vorsichtig legte Andrej die drei Leichen nebeneinander und bettete
sie so, dass man die kleinen Bisswunden nicht sofort sehen konnte.
Er hätte gern mehr für sie getan, doch dazu war keine Zeit. Nach
kurzem Innehalten wandte er sich um und ging wieder zu Abu Dun
hinüber, doch seine Schritte wurden immer zögernder. Als er nur
noch zwei Meter von ihm entfernt war, blieb er stehen. Er hatte nicht
die Kraft, Abu Dun noch einmal zu berühren, und er wusste, dass er
es nicht ertragen würde, ihm noch einmal in die Augen zu sehen.
Was war es gewesen, das er bei seiner Suche nach der Seele Abu
Duns gespürt hatte? War es etwas, das Blanche zurückgelassen hatte? Dieser Gedanke löste in ihm das Empfinden aus, etwas durch und
durch Verdorbenes berührt zu haben, etwas, das so bösartig und
grausam war, dass es keinen Platz in der Schöpfung hatte. Hatte
Blanche Abu Dun durch seine Berührung verdorben und besudelt,
oder hatte er vielleicht gerade erst den wahren Abu Dun kennen gelernt? Nicht den schwarzgesichtigen Riesen aus dem Land jenseits
der Pyramiden, mit dem er seit einem halben Jahrhundert sein Leben
teilte, sondern das, was sein Wesen ausmachte, was ihn von allen
anderen Menschen unterschied?
War es das, fragte sich Andrej schaudernd, was sie waren? Vielleicht hatte er zum ersten Mal wirklich gesehen, was einen Vampyr
ausmachte. Vielleicht war er auf den Kern seines eigenen, wahren
Selbst gestoßen.
Er hasste Blanche für diesen Gedanken. Sobald die Erkenntnis von
Abu Duns Tod endgültig in sein Bewusstsein vorgedrungen war,
würden sein Hass und seine Wut zu schierer Raserei werden. Er
würde Blanche töten. Nicht irgendwann, sondern noch an diesem
Tag.
Das Knacken eines Zweiges unterbrach seine Gedanken. Andrej
fuhr herum und riss das Schwert aus der Scheide, doch auf der anderen Seite der Lichtung stand nur sein Hengst.
Andrej atmete erleichtert auf. Plötzlich wurde ihm klar, in welchem
Zustand er sich befand und wie wehrlos er gewesen wäre, hätte
Blanche tatsächlich versucht, sich an ihn anzuschleichen. Zugleich
war er betroffen, als das Tier auf die Lichtung hinaustrat und er sah,
wie zerschrammt und blutüberströmt seine Flanken waren. Einige
dieser Verletzungen mochte es sich selbst zugezogen haben, als es in
Panik davongelaufen war. Die meisten aber waren ohne Zweifel der
Rücksichtslosigkeit zuzuschreiben, mit der er es auf dem Weg durch
das Unterholz angetrieben hatte. Andrej hob die Hand und schnalzte
mit der Zunge. Der Hengst schnaubte und kam mit gesenktem Kopf
auf ihn zu. Dann bleib er stehen und begann, nervös mit den Vorderhufen im Schnee zu scharren.
»Was ist los?«, fragte Andrej. »Komm her!«
Noch einmal schnaubte das Pferd. Seine Ohren bewegten sich unruhig hin und her, seine Hufe scharrten immer aufgeregter im
Schnee. Das Tier wollte ihm gehorchen, aber etwas schien ihm Angst
einzujagen. Andrej fragte sich, ob es mit seinen feinen Sinnen eine
Gefahr spürte, die ihm selbst verborgen blieb?
Andrej ging auf den Hengst zu und schwang sich mit einer kraftvollen Bewegung in den Sattel. Das Tier wieherte erleichtert und trabte
unaufgefordert los. Andrej begriff, dass es Abu Duns Leiche war, die
dem Hengst solche Angst eingeflößt hatte. Er war nicht der Einzige,
der die schreckliche Veränderung spürte, die in seinem Freund vorgegangen war.
Vorsichtig suchte er sich einen Weg zurück zu dem schmalen Pfad,
der durch den Wald führte. Ja, er würde Blanche töten. Er würde ihn
finden und zum Kampf herausfordern. Der Weißhaarige würde für
das büßen, was er getan hatte. Andrej wusste, wie gering seine Chancen waren, diesen Kampf zu gewinnen. Abu Dun und er hatten schon
gegen dieses Ungeheuer in Menschengestalt gekämpft, und nicht
einmal ihnen beiden zusammen war es gelungen, Blanche zu bezwingen. Doch das spielte keine Rolle. Es war vollkommen gleichgültig, ob er gewann oder verlor. Ein Teil von ihm war zusammen
mit Abu Dun gestorben, und der Rest wollte und konnte nicht
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