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Die Blutgraefin

Die Blutgraefin

Titel: Die Blutgraefin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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herab. Der Atem des Mädchens hatte
sich beruhigt, ihre Augen waren geschlossen. Sie schien zu schlafen.
Als er in sie hineinlauschte, spürte er weder Schmerz noch Todesangst. Ihre Lebensflamme brannte ruhig und gleichmäßig, so stark
und jung, wie sie vorher gewesen war.
»Es ist das Blut, das dir die Kraft gibt?«, murmelte er.
»Ja«, antwortete Maria. »Es gibt uns allen unsere Kraft.«
Andrej schüttelte den Kopf. »Nicht mir«, sagte er, »und auch nicht
Abu Dun.«
»Aber ihr habt die Kraft derer genommen, die ihr getötet habt«,
sagte Maria. »Dieser Weg steht mir nicht offen. Nur die wenigsten
von uns sind dazu in der Lage. Ich bin nicht wie du, Andrej, so wenig, wie du wie Blanche bist. Doch solange ich die Kraft des Blutes
schöpfen kann, bleibe ich am Leben und jung.«
»Blanche«, flüsterte Andrej bitter. »Er war es, der dich zu dem gemacht hat, was du jetzt bist, habe ich Recht?«
Maria nickte und fuhr sich müde mit den Händen durch das Gesicht. Ihre Finger hinterließen schmierige Spuren auf der Haut.
»Die Vorstellung hat mich anfangs genauso entsetzt wie dich«, sagte Maria. »Ich wollte es nicht. Ich wäre lieber gestorben.«
»Aber dann hat er dich gezwungen, wie?«, fragte Andrej böse.
Maria sah ihn traurig an. »Zuerst, ja«, erwiderte sie. »Ich habe mich
gewehrt. Ich habe verzweifelt gekämpft, ihn angefleht, gebettelt. Aber irgendwann habe ich begriffen, dass er Recht hatte.«
»Womit?«, fragte Andrej leise. Es fiel ihm schwer, etwas zu empfinden. Er wollte sie hassen, doch es gelang ihm nicht.
»Du hast niemals vor einer solchen Wahl gestanden, nicht wahr?«,
fragte Maria. »Du bist ein Mann des Schwertes. Ein Krieger, der mit
und von der Gewalt lebt und weiß, dass es genau diese Gewalt ist,
die auch ihn eines Tages töten wird. Du hast dieses Los akzeptiert,
und das kann ich verstehen. Aber ich bin nicht wie du. Ich bin eine
Frau. Ja, ich gebe es zu, ich wusste, dass es nicht richtig war, aber ich
habe mich trotzdem so entschieden. Ich wollte weiterleben. Und sei
es nur, um dich eines Tages wieder in die Arme schließen zu können.«
Die Vorstellung, diesen mit Blut besudelten Leib je wieder in die
Arme zu schließen, seine Lippen noch einmal auf die ihren zu pressen, die so viel unschuldiges Blut genommen hatten, jagte ihm einen
eisigen Schauer über den Rücken.
»Und die anderen Mädchen?«, fragte er leise. »Ihnen ist nichts geschehen«, antwortete Maria. »Ich habe nur ein einziges Mal von ihnen getrunken und sie dann fortgeschickt. Sie sind am Leben. Ich
kann dich zu ihnen bringen, wenn du dich davon überzeugen willst.«
Andrej hatte mit einem dieser Mädchen selbst gesprochen und
glaubte, dass Maria auch in Bezug auf die anderen die Wahrheit sagte. Er schämte sich, die Frage gestellt zu haben, doch Maria schien
Verständnis dafür aufzubringen. Sie beugte sich vor und streckte die
Hand aus, zog den Arm aber wieder zurück, noch bevor ihre Hand
auf seinen Fingern einen warmen, roten Abdruck hinterlassen konnte.
»Ich kann verstehen, wenn du mich jetzt hasst«, sagte sie. »Ich
könnte es sogar verstehen, wenn du dein Schwert nimmst und mich
auf der Stelle erschlägst.«
Maria stand auf und ging zu dem Platz neben der Tür, wo er sein
Schwert fallen gelassen hatte. Sie hob es auf, trug es zu ihm zurück
und hielt ihm die Waffe mit dem Griff voran hin. »Nimm es«, sagte
sie. »Wenn das, was ich getan habe, in deinen Augen so schlimm ist,
dann bring es zu Ende. Tu es, wenn du glaubst, dass ich es verdient
habe.«
Andrej zögerte, doch Maria machte nur eine heftige, auffordernde
Bewegung mit dem Schwert und sah ihm fest in die Augen.
»Ich bitte dich nur, mich nicht zu verachten«, sagte sie leise. »Töte
mich, wenn du willst, aber verlass mich nicht. Ich habe zu lange auf
dich gewartet, als dass ich ohne dich weiterleben könnte.«
Andrej starrte sie lange aus leeren Augen an. Schließlich griff er
nach dem Schwert, aber nur, um es mit einer sorgfältigen Bewegung
in die lederne Scheide an seinem Gürtel zurückzuschieben.
»Ich würde dir niemals etwas antun«, sagte er. Sein Zorn war verraucht, so wie auch die Furcht erloschen war. Sein Entsetzen hatte
einem tiefen Mitleid Platz gemacht und der festen Entschlossenheit,
den Mann zu suchen, der Maria das angetan hatte. Er wusste nicht
genau, was der Weißhaarige aus ihr gemacht hatte. Andrej konnte
nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob Maria noch ein Mensch
war, und wie viel von dem

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