Die Blutgraefin
verzweifelten Anstrengung gelang es ihm, die Augen zu öffnen und sich
halb umzudrehen.
Die zerbrochene Laterne hatte die Rückwand des Zimmers in Brand
gesetzt. Eine Lache brennenden Öls begann sich lautlos und schnell
auf dem Boden auszubreiten und seine gierige Zunge nach dem reglos daliegenden Mädchen auszustrecken. »Andrej!«, schrie Maria.
»Bist du verletzt?«
»Nein«, log Andrej. »Das Feuer wird…«
»Darum kümmere ich mich«, unterbrach ihn Maria. »Lauf ihm
nach! Er darf nicht entkommen! Ich bringe Elenja in Sicherheit und
komme nach!«
Da sich Andrejs Körper von seinen schweren Verletzungen noch
nicht vollständig erholt hatte, war Stanik schon längst nicht mehr auf
dem Hof, als er aus dem Haus trat. Gottlob verfügte der junge Bursche weder über Flügel noch über die Fähigkeit, sich unsichtbar zu
machen. Deshalb hinterließ er, anders als so mancher, dem Andrej in
den letzten Tagen begegnet war, deutlich sichtbare Spuren im
Schnee. Er war geradewegs aus dem Tor gerannt - der Länge seiner
Schritte nach zu urteilen wie von Furien gehetzt.
Andrej kam allmählich zu Bewusstsein, welcher Anblick sich dem
Jungen geboten haben musste, als er die Tür aufgestoßen hatte. In
dem Zimmer hatte eine Wanne voller Blut gestanden. Elenja hatte
spärlich bekleidet und scheinbar tot am Boden gelegen. Er hatte die
nackte, über und über mit Blut besudelte Maria in den Armen gehalten und geküsst. Andrej fuhr sich mit dem Handrücken über den
Mund und spürte etwas Nasses, Klebriges. Seine Lippen waren blutverschmiert. Er an Staniks Stelle hätte vermutlich nicht anders reagiert, hätte sich ihm diese Szene dargeboten!
Dicht hinter dem Tor war Stanik scharf nach rechts abgebogen. Nur
wenige Schritte weiter fand Andrej den Schnee aufgewühlt und zertrampelt, und die Fährte, die von dort in Richtung des Waldes verlief,
war die eines Pferdes.
Andrej war deshalb nicht beunruhigt. Bei der Dunkelheit und den
herrschenden Witterungsverhältnissen würde Stanik im Wald auch
zu Pferde kaum schneller vorankommen als er zu Fuß. Dennoch ging
er in die Hocke und besah sich die Spur genauer. Es waren die Hufabdrücke von zwei Pferden. Stanik war entweder nicht allein gekommen, oder - was Andrej wahrscheinlicher erschien - er hatte ein
zweites Reittier mitgebracht, weil er jemanden abholen wollte. Vielleicht, dachte Andrej, hatte er sich seine Meinung über Ulrics ältesten Sohn doch vorschnell gebildet. Er würde ihn fragen, sobald er ihn
eingeholt hatte.
Andrej richtete sich wieder auf und folgte der Spur, die geradewegs
zu dem schmalen Waldweg führte, der vom Dorf aus zum Schloss
verlief. Bevor er in den Wald eindrang, blieb er jedoch noch einmal
stehen und drehte sich um. Der heruntergekommene Hof lag schwarz
vor ihm, nur an einer Stelle, so schwach, dass ein normales Auge es
nicht wahrgenommen hätte, färbte ein blassroter Schein den Himmel.
Die Flammen schlugen noch nicht aus dem Dach, aber Maria hatte es
bisher auch nicht geschafft, sie zu löschen. Er bezweifelte, dass ihr
das gelingen würde. Andrej hatte nur einen einzigen, flüchtigen Blick
in den Raum geworfen, aber er hatte gesehen, wie gierig sich das
Feuer in das uralte, trockene Holz der Wände und des Fußbodens
gefressen hatte. Der Hof war verloren.
Andrej war jedoch sicher, dass Maria die Situation bewältigen
konnte, und setzte seinen Weg mit schnellen Schritten fort. Eine kurze Strecke lang folgte er der Spur, die Stanik hinterlassen hatte, dann
blieb er stehen und lauschte mit angehaltenem Atem.
Er hatte es kaum zu hoffen gewagt, aber diesmal ließen ihn seine
Sinne nicht im Stich. Er vernahm das rhythmische Hämmern eisenbeschlagener Pferdehufe, das verräterische Knacken eines Zweiges
oder das leise Rascheln, mit dem Pferd oder Reiter Schnee von tief
hängenden Ästen fegten. Stanik war schon weiter entfernt, als er
vermutet hatte, aber er bewegte sich nicht viel schneller als Andrej.
Nachdem er einen weiteren Moment konzentriert gelauscht hatte,
konnte er auch die Richtung bestimmen, aus der die Hufschläge kamen.
Statt weiter dem Weg zu folgen, wich Andrej nach rechts von dem
vorgegebenen Pfad ab und benutzte sein Schwert, um sich einen Weg
durch das verschneite Unterholz zu hacken. Zwei- oder dreimal blieb
er stehen, um zu lauschen und sich zu orientieren. Das Geräusch der
Hufschläge wurde allmählich lauter. Solange Stanik nicht bemerkte,
dass er verfolgt wurde, bestand die Chance, ihn
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