Die blutige Arena
anschaute, da verspürte ich Lust, ihm einen Überrock und eine Mütze zu geben,damit ihn nicht länger friere. Und gleichwohl muß ich sagen, daß er schön war und einer Frau, die sich nach Ungewöhnlichem sehnte, einige glückliche Monate hätte bereiten können ... Sie, Gallardo, wissen nicht, was das ist...«
Und Doña Sol gedachte schweigend des armen Raja, der sich in seinem lächerlichen Aufzuge unter dem Nebel Londons nie erwärmen konnte. Ihre Einbildungskraft sah ihn dort unten in seinem Lande, wo ihn die Majestät der Macht und das Licht der Sonne zu einem anderen machten. Die dunkle Farbe seines Gesichtes nahm unter dem grünen Reflex der tropischen Vegetation die Färbung künstlerischer Bronzen an. Sie sah ihn auf einem Elefanten, der über den mit kostbaren Teppichen belegten Boden schritt, während kriegerische Reiter und Sklaven mit wohlriechenden Räucherbecken seine Leibgarde bildeten. Der schwere Turban war mit weißen Federn, auf denen kostbare Steine funkelten, geschmückt, die Brust mit Goldplatten, auf denen Diamanten glänzten, umschlossen. Der Gürtel wurde durch eine mit Smaragden bestickte Schärpe, aus der ein goldener Säbel herabhing, zusammengehalten. Hinter ihm kamen Bajaderen mit geschminkten Augen und üppigen Busen, zahme Tiger und Lanzenträger bildeten den Schluß des Zuges. Im Hintergrunde standen Pagoden mit übereinandergeschachtelten Dächern und kleinen Türmchen, deren Glocken im leisesten Windhauch sanfte Akkorde erklingen ließen, Paläste, deren Schweigen Geheimnisse umschloß, und dichter Urwald, aus dessen Schatten wilde, buntfarbige Tiere zum Vorschein kamen... Ja, die Umgebung. Hätte sie den armen Raja, der dort so prächtig wie ein Gott war, unter dem tiefblauen Himmel unddem Lichte der heißen Sonne Indiens gesehen, hätte sie sich gehütet, ihn zu verspotten. Sie war vielmehr überzeugt, von selbst als seine demütige Liebessklavin in seine Arme geeilt zu sein.
»Sie bringen mir den Raja in Erinnerung, Freund Gallardo. Dort in Sevilla waren Sie in Ihrer Landestracht etwas Eigenes, eine Ergänzung der Umgebung. Aber hier ... Madrid ist modern geworden, es ist eine Stadt wie die anderen. Da gibt es keine Volkstrachten mehr, außer auf der Bühne. Seien Sie mir nicht böse, Gallardo, aber Sie erinnern mich an den Inder.«
Sie betrachtete durch die Fenster hindurch den grauen, verregneten Himmel, von dem zeitweilig Schnee herabfiel, und die Leute, welche unter ihren Schirmen schnell die Straßen durcheilten. Dann flog ihr Blick auf den Espada und heftete sich mit Verwunderung auf seine über den Kopf gelegte Haarwelle, auf seine Frisur und seinen Hut, auf alle Einzelheiten, die seinen Beruf verrieten und dabei ganz merkwürdig mit seinem modernen und eleganten Anzug kontrastierten.
Der Torero stand für Doña Sol außerhalb ihrer Sphäre. Ah, dieses verregnete, langweilige Madrid! Ihr Freund, der sich Spanien nur unter einem lachenden, blauen Himmel vorgestellt hatte, war ganz enttäuscht. Sie selbst dachte, wenn sie auf dem Gehsteig vor dem Hotel die Gruppen der jungen Toreros mit ihrem selbstbewußten Gehaben sah, unausbleiblich an die exotischen Tiere, die man aus ihren sonnigen Ländern unter einen grauen und nebligen Himmel versetzt hatte. Dort in Andalusien war Gallardo der Held, eine aus sich gewordene Verkörperung des viehreichen Landes.Hier erschien er ihr mit seinem rasierten Gesicht und seinem auf die Menge berechneten Gehaben als eine komische Figur, welche, statt mit ihresgleichen dumme Possen zu treiben, durch ihre Kämpfe mit den Stieren den Schauer der Tragik erweckte.
Ah, die verführerischen Illusionen über diese sonnendurchglühten Länder, diese täuschende Trunkenheit aus Licht und Farben ... Und sie hatte einige Monate hindurch zu diesem rohen und ungebildeten Burschen Zuneigung empfinden können und die Unsinnigkeiten seiner Ignoranz als ingeniöse Einfälle eines unberührten Wesens betrachtet, ja, sie war so weit gegangen, zu verlangen, er dürfe seine Gewohnheiten nicht aufgeben, er müsse den Geruch der Pferde und Stiere auf sich behalten und dürfte die Atmosphäre aller jener wilden Bestien, die ihn umschwebte, durch kein Parfüm abschwächen ... Ah, die Umgebung, welche Verrücktheiten!
Sie erinnerte sich an die Gefahr, unter den Hörnern des Stieres zerfetzt zu werden. Dann gedachte sie des Frühstückes mit dem Räuber, dem sie voll Bewunderung zugehört hatte, um ihm schließlich eine Blume zu geben. Was für Unsinnigkeiten!
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