Die Blutige Sonne - 14
traten durch einen offenen Bogengang in einen hohen, beleuchteten Raum, der auf eine grüne Terrasse führte; von dort aus sah man die im Dämmerschein liegenden Berge.
Der Raum war riesig, und doch vermittelte er den Eindruck von Wärme und Gemütlichkeit. Der Boden war mit abgetretenen Platten belegt, über den die Füße von Generationen geschritten sein mochten. Am anderen Ende brannte ein Kaminfeuer, von dem wohlriechender Rauch aufstieg. Irgend etwas Dunkles, Pelziges, ein Nichtmensch, machte sich mit einem langen, eigenartig geformten Blasebalg am Feuer zu schaffen. Das Wesen hatte lange, rosafarbene Greifhände und wandte ihm, als Kerwin eintrat, große grüne, pupillenlose Augen zu, in denen ein fragender Ausdruck stand.
Rechts vom Kamin stand ein schwerer, geschnitzter Tisch aus glänzendem Holz, um ihn herum waren Stühle; dahinter erblickte er eine mit Kissen bedeckte, gobelingeschmückte Estrade.
Von einem der Stühle erhob sich eine Frau mittleren Alters und kam auf sie zu. Einen Schritt vor Kerwin blieb sie stehen und sah ihn aus klugen, grauen Augen prüfend an.
„Der Barbar“, sagte sie. „Nun, so sieht er auch aus. Er hat Blut auf dem Gesicht. Noch eine Rauferei, Auster, und dann schicke ich dich für eine volle Saison in das Strafhaus von Nevarsin. Im Winter“, fügte sie noch hinzu.
Ihre Stimme klang rauh und spröde; in ihrem dunkelroten Haar schimmerten silberne Fäden. Ihr Körper war untersetzt und ein wenig wuchtig. Sie trug ein unauffälliges, dunkles Kleid. Ihr Gesicht drückte Humor und Intelligenz aus, und um die Augen hatte sie winzige Fältchen.
„Wie nannten ihn die Terraner?“
Jeff nannte seine Namen, und ihre Lippen kräuselten sich, als sie Ihn wiederholte. „Jeff Kerwin. Das war zu erwarten. Ich bin Mesyr Ridenow, eine sehr entfernte Kusine. Glaube ja nicht, ich sei auf die Verwandtschaft stolz. Ich bin es nicht.“
Unter Telepathen sind konventionelle Lügen ohne Bedeutung, überlegte Kerwin. Beurteile sie nicht nach den Gewohnheiten der Terraner. Sie sprach grob mit ihm, und doch war etwas an dieser dicklichen Amazone, das ihm gefiel. „Vielleicht gelingt es mir eines Tages, dich umzustimmen, Mutter“, sagte er. Er benützte das Wort kika, das für ältere weibliche Verwandte gebraucht wurde.
„Bitte, nenne mich Mesyr“, fauchte sie ihn an. „So alt bin ich noch nicht! Auster, mach den Mund zu, in dem Loch hätte ein ganzer Planet Platz. Er hat keine Ahnung, wie beleidigend er wirkt. Wie könnte er auch!“
„Wenn ich dich beleidigt…“
Mesyr kicherte. „Daraufhin darfst du mich ,Mutter’ nennen“, schlug sie vor. „Ich komme keinem Matrixschirm mehr nahe, seit mein Junge alt genug ist, meinen Platz einzunehmen. Das ist mein Sohn Corus.“
Ein langbeiniger junger Mann mit mahagonifarbenen Locken, noch unter zwanzig Jahren, reichte Kerwin die Hand, als sei das eine Geste der Herausforderung. Er lachte ihn verschmitzt in einer Art an, die ihn an Taniquel erinnerte. „Du warst im Weltraum?“ fragte er.
„Viermal“, antwortete Kerwin.
„Das klingt ja sehr interessant“, sagte Corus, und es schwang ein wenig Sehnsucht mit. „Ich selbst bin niemals weiter weg gewesen, als Nevarsin.“
Mesyr sah Corus mißbilligend an und stellte einen Mann in Kerwins Alter vor, einen mageren, großen, klug aussehenden Mann mit dem Anflug eines roten Bartes, schwieligen Händen und düster blickenden Augen. „Das ist Rannirl.“ Er machte keine Anstalten, ihm die Hand zu schütteln, sondern verbeugte sich förmlich vor Kerwin. „Dann hat man dich also doch gefunden“, stellte er fest. „Ich hatte es nicht erwartet. Kennard, dir schulde ich vier Kisten Ravnetwein.“
Kennard lachte herzlich. „Den trinken wir am nächsten Feiertag miteinander, wir alle. Ich glaube, du hast auch mit Elorie eine Wette abgeschlossen? Deine Wettleidenschaft wird dich noch ruinieren. Außerdem – wo steckt Elorie? Sie müßte doch hier sein und ihren Habicht verlangen, wenn nicht noch mehr.“
„Hier ist sie“, warf Taniquel ein, und sie sahen alle zur Tür. Kerwin merkte, daß er sich nur einbildete, es herrsche allgemeines Schweigen, denn Mesyr, Rannirl und der junge Corus sprachen noch miteinander; und doch fühlte er einen Wall von Schweigen um das Mädchen, das unter der Tür stand. Als ihre grauen Augen den seinen begegneten, wußte er, daß er dieses Gesicht in seinem Matrixkristall gesehen hatte.
Sie war groß und von herrlicher Gestalt. Kupferfarbenes Haar, in dem
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