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Die blutige Sonne

Die blutige Sonne

Titel: Die blutige Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Aberglauben losgesagt, hatte sich geweigert, auf ihre rituelle Autorität zu pochen, hatte es verabscheut, wenn das Wort Zauberin auf sie angewendet wurde. Vielleicht war ihr diese eine Vorstellung so tief eingeprägt worden, daß sie sich nicht dagegen wehren konnte.
    Kennard hatte es abergläubischen Unsinn genannt. Aber ob sie nun ihre Kräfte tatsächlich verloren hatte oder nur glaubte, sie habe sie verloren, die Wirkung war die gleiche. Und vielleicht lag doch ein Körnchen Wahrheit darin. Kerwin hatte sogar als Anfänger erfahren, welche furchtbare Erschöpfung und Nervenanspannung die Matrix-Arbeit mit sich brachte. Kennard hatte ihm geraten, einige Zeit vor Beginn einer ernsthaften Operation auf den Geschlechtsverkehr zu verzichten. Natürlich mußte eine Bewahrerin immer auf dem Höhepunkt ihrer Leistungsfähigkeit sein, ihre Kräfte an Abgeschlossenheit erhalten. Auf nichts anderes als ihre Aufgabe durfte sie Energie verschwenden.
    Kerwin dachte an den Tag, als Elorie in den Matrix-Schirmen zusammengebrochen war. Er hatte geglaubt, ihr Herz sei stehengeblieben. Jetzt nahm er sie in die Arme, drückte sie an sich und dachte: Wenigstens davor ist sie jetzt sicher!
    Aber er hatte sie an jenem Tag berührt, hatte ihr Kraft gegeben. Hatte dieser Kontakt sie als Bewahrerin zerstört?
    »Nein«, sagte sie ruhig, indem sie, wie so oft, auf seine Gedanken einging. »Vom ersten Augenblick an, als ich dich durch die Matrix berührte, wußte ich, du würdest – ein besonderer Mensch sein, ein Mensch, der meinen Frieden stören mußte. Aber ich war stolz. Ich dachte, ich könne mich beherrschen. Und dann war da Taniquel. Ich beneidete sie, aber ich wußte doch auch, daß du nicht gar zu einsam sein würdest.« Plötzlich liefen ihr die Augen über.
    »Tani wird mir fehlen«, sagte sie mit weicher Stimme. »Ich wünschte, daß es anders gewesen wäre, daß wir hätten gehen können, ohne uns bei ihnen verhaßt zu machen. Ich habe Tani so lieb.«
    »Du bist nicht eifersüchtig? Weil sie und ich …«
    Sie lachte ein bißchen. »Oh, ihr Terraner! Nein, Liebling. Wenn die Dinge anders lägen, wenn wir unter unsern eigenen Leuten leben könnten, hätte ich sie gern Bredhis genannt, und Tani wäre es gewesen, die ich für dein Bett ausgesucht hätte, wenn ich krank oder schwanger wäre. Schockiert dich das so sehr?«
    Er küßte sie wortlos. Die darkovanischen Sitten waren idealistisch, aber man mußte sich erst an sie gewöhnen. Und er war recht froh, Elorie für sich allein zu haben.
    Doch dabei fiel ihm etwas anderes ein.
    »Taniquel war ja gewiß keine Jungfrau. Und trotzdem hat sie im Matrix-Kreis gearbeitet …«
    »Taniquel war keine Bewahrerin«, stellte Elorie nüchtern fest, »und es wurde nie von ihr verlangt, die Arbeit einer Bewahrerin zu tun, die Energonen des Kreises zu sammeln und zu lenken. Dieses Gelübde und diese – diese Enthaltsamkeit – wurden von ihr und Neyrissa ebenso wenig verlangt wie von den Männern. Und vor ein paar Generationen – in der Zeit des Verbotenen Turms – gab es eine Bewahrerin, die Arilinn verließ, um zu heiraten, und dann fortfuhr, ihre Kräfte zu gebrauchen. Es war ein Riesenskandal; ich kenne nicht alle Einzelheiten, denn es war eine Geschichte, die man Kindern nicht erzählt. Und ich weiß nicht, wie sie es gemacht hat.« Schnell, als fürchte sie, er werde weitere Fragen stellen, erklärte sie: »Ich bin sicher, daß ich immer noch einige Dinge mit meiner eigenen Matrix tun kann. Laß es mich versuchen.«
    Aber als sie den Stein aus dem kleinen Lederetui genommen hatte, in dem sie ihn, in sein isolierendes Seidentuch eingewickelt, verwahrte, zögerte sie.
    »Ich komme mir so merkwürdig vor. Gar nicht wie ich selbst. Mir ist, als … als gehörte ich mir nicht mehr.«
    »Du gehörst mir«, sagte Kerwin fest, und sie lächelte.
    »Sind die terranischen Ehefrauen Eigentum? Nein, Liebster, ich gehöre nur mir selbst. Aber ich will gern jeden Augenblick meines Lebens mit dir teilen.«
    »Ist das ein Unterschied?« fragte Kerwin.
    Ihr leises Lachen hatte ihn immer schon entzückt. »Für dich vielleicht nicht. Für mich ist der Unterschied sehr bedeutsam. Wenn ich gewünscht hätte, das Eigentum eines Mannes zu sein, hätte ich irgendeinen heiraten können, bevor ich den Kinderschuhen entwachsen war, und wäre niemals in den Turm gegangen.« Sie nahm die Matrix in die Hand. Kerwin bemerkte, wie unsicher sie sie berührte, ganz im Gegensatz zu der selbstverständlichen Art,

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