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Die blutige Sonne

Die blutige Sonne

Titel: Die blutige Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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man die Beute hinter des Jägers Tür versteckt hatte, das Blatt mitten im Wald. Sie alle, Cleindori, Cassilde, der Terranan , der Ridenow-Junge …«
    Die Lichter in dem Kristall gerannen zu einer auflodernden Flamme. Kerwin zuckte zusammen, als sie seine Augen blendete, aber er konnte sich nicht bewegen.
    Und dann stieg eine Szene vor seinen Augen auf, klar und deutlich, als sei sie auf die Innenseite seiner Augenlider gemalt.
    Zwei Männer und zwei Frauen, alle in darkovanischer Kleidung, saßen um einen runden Tisch, auf dem ein Matrix-Kristall in einem geflochtenen Rahmen lag. Eine der Frauen, sehr zart, sehr schön, beugte sich darüber und umklammerte den Rahmen so fest, daß er erkennen konnte, wie die Knöchel ihrer Hände weiß hervortraten. Ihr Gesicht, von blaßrotem Haar umrahmt, kam ihm unheimlich vertraut vor … Die Männer saßen bewegungslos und beobachteten sie konzentriert. Einer von ihnen hatte dunkles Haar und dunkle Augen, Tieraugen, und Kerwin hörte sich selbst denken: Der Terraner, und etwas sagte ihm, daß er das Gesicht des Mannes sah, dessen Namen er tragen würde. Wie gebannt sahen sie alle zu, und das kalte Licht spielte auf dem Gesicht der Frau wie ein seltsames Nordlicht. Dann zog der große rothaarige Mann plötzlich die Hände der Frau von dem Rahmen weg. Das blaue Feuer erstarb, und die Frau sank bewußtlos in die Arme des dunklen Mannes …
    Die Szene wechselte. Kerwin sah ziehende Wolken; kalter Regen strömte auf einen Hof nieder. Ein Mann schritt durch einen Gang mit hohen Säulen, ein Mann in einem hoch am Hals geschlossenen, juwelenbesetzten Mantel, ein großer, stolzer Mann, und Kerwin keuchte auf, als er das Traumgesicht seiner frühesten Erinnerungen erkannte. Das Bild verengte sich zu einer Kammer mit hoher Decke. Die Frauen und der andere Mann waren da. Kerwin sah die Szene aus einer merkwürdigen Perspektive, als sei er entweder sehr hoch oben oder sehr tief unten, und er wurde sich bewußt, daß er dort war. Entsetzen und plötzliche Angst ließen ihn zittern. Er blickte von den vier um eine Matrix versammelten Menschen weg auf eine geschlossene Tür, einen Drehknopf, der sich langsam, sehr langsam bewegte. Dann flog die Tür plötzlich auf und dunkle Gestalten füllten den Eingang. Sie verdeckten das Licht, sie stürzten vorwärts …
    Kerwin schrie. Es war nicht seine eigene Stimme, sondern die eines Kindes, dünn und schrecklich und schreckenerregend, ein Laut äußerster Verzweiflung und Panik. Er fiel nach vorn auf den Tisch, vor seinen Augen verdunkelte sich die Szene, erinnerte Schreie gellten in seinen Ohren weiter und weiter, lange nachdem sein eigener Schrei ihn ins Bewußtsein zurückgerufen hatte.
    Benommen setzte er sich auf und fuhr sich langsam mit der Hand über die Augen. Seine Hand wurde naß von kaltem Schweiß – oder von Tränen? Verwirrt schüttelte er den Kopf. Er war nicht in dem mit vagen Schreckensgestalten gefüllten hohen Raum. Er war in der Steinhütte der alten Matrix-Technikerin. Das Feuer in der Kohlepfanne war heruntergebrannt, und das Zimmer war dunkel und kalt. Er konnte die Frau gerade eben sehen. Sie war zusammengebrochen. Ihr Körper lag über dem Tisch und dem Weidenrahmen. Er war gekippt, und der Kristall war auf die Tischplatte gefallen. Aber jetzt war kein blaues Licht mehr darin. Dort lag nur noch ein graues, lebloses Stück Glas.
    Verärgert und verwirrt blickte Kerwin auf die Frau nieder. Sie hatte ihm etwas gezeigt – aber was hatte es zu bedeuten? Warum hatte er geschrien? Vorsichtig fühlte er nach seiner Kehle. Er mußte sich heiser geschrien haben.
    »Zum Teufel, um was ging das alles? Ich nehme an, der dunkle Mann war mein Vater. Aber wer waren die anderen?«
    Die Frau bewegte sich nicht und antwortete nicht. Kerwins Gesicht verfinsterte sich. Betrunken? Betäubt? Nicht gerade sanft schüttelte er sie an der Schulter. »Was war das? Was hatte es zu bedeuten? Wer waren die Leute?«
    Mit alptraumhafter Grazie glitt die Frau langsam aus ihrem Sessel und fiel seitwärts auf den Fußboden. Kerwin fluchte. Er flankte über den Tisch und kniete neben ihr nieder. Aber er wußte bereits, was er entdecken würde.
    Die Frau war tot.

Kapitel 6: Wieder ins Exil
     
    Kerwins Kehle tat ihm immer noch weh, und ihm war nach einem hysterischen Anfall zumute.
    Alle Türen werden mir vor der Nase zugemacht!
    Dann sah er voll Mitleid und mit schmerzlichem Schuldbewußtsein auf die Frau nieder. Er hatte sie in diese Sache hineingezogen,

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