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Die blutige Sonne

Die blutige Sonne

Titel: Die blutige Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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erinnerte Kerwin sich daran, daß die Comyn den Anspruch erhoben, von dem mythischen Hastur, dem Sohn des Lichts, abzustammen. Er fragte sich, was der Gott der Legenden mit den heutigen Hasturs der Comyn zu tun haben mochte. Aber er war zu müde, um lange nachzudenken oder weitere Fragen zu stellen. Er warf seine Kleider ab und kroch in das große Bett, und nach einer Weile schlief er ein.
     
    Als er erwachte, ging die Sonne unter, und einer der leichtfüßigen Nichtmenschen ging im Badezimmer umher und ließ Wasser einlaufen, aus dem ein schwacher Parfumduft aufstieg. Kerwin fiel ein, daß Mesyr gesagt hatte, bei Sonnenuntergang wollten sie zusammenkommen. Er badete, rasierte sich und aß etwas von den Speisen, die der Nichtmensch ihm brachte. Aber als das Pelzwesen zum Bett hinwies, wo es darkovanische Kleidung ausgebreitet hatte, schüttelte Kerwin den Kopf. Er zog die dunkle Uniform des Terranischen Zivildienstes an. Dabei machte er sich über sich selbst lustig. Unter Terranern fühlte er den Zwang, auf sein darkovanisches Blut hinzuweisen, und hier empfand er es plötzlich als Pflicht, sein terranisches Erbe nicht zu verleugnen. Er schämte sich nicht, der Sohn eines Terraners zu sein, was Auster auch sagen mochte, und wenn es ihnen Spaß machte, ihn Barbar zu nennen, so sollten sie es ruhig tun!
    Ohne anzuklopfen oder sich mit einem einzigen Wort anzukündigen, kam das Mädchen Elorie in sein Zimmer. Kerwin erschrak über ihr Eindringen. Zwei Minuten früher hätte sie ihn splitternackt angetroffen! Und wenn er jetzt auch bis auf die Stiefel angezogen war, störte es ihn doch.
    »Du Barbar«, sagte sie mit leisem Lachen. »Natürlich wußte ich es. Ich bin Telepathin, hast du das vergessen?«
    Bis an die Haarwurzeln errötend, steckte Kerwin den zweiten Fuß in den Schuh. Offenbar spielte sich das Leben in einer Gruppe von Telepathen nicht nach den Regeln ab, an die er gewöhnt war.
    »Kennard fürchtete, du könntest dich verlaufen, wenn du dich allein auf den Weg hinunter in die große Halle machst, und da sagte ich ihm, ich würde dich abholen.«
    Elorie trug nicht mehr die schwere, offizielle Robe, sondern ein leichtes Gewand, bestickt mit Büscheln von Kirschen und vielen Sternenblumen. Sie stand direkt unter einem der Gemälde legendärer Gestalten, und die Ähnlichkeit sprang sofort ins Auge. Kerwin blickte von dem Bild zu dem Mädchen und fragte: »Hast du für das Porträt gesessen?«
    Sie sah gleichgültig hoch. »Nein, das war meine Ururgroßmutter. Vor ein paar Generationen hatten die Frauen der Comyn eine Leidenschaft dafür, sich als mythologische Gestalten malen zu lassen. Aber ich habe das Kleid nach dem Bild kopiert. Nun komm.«
    Sie war nicht sehr freundlich, nicht einmal sehr höflich, aber offenbar akzeptierte sie ihn, wie sie es alle getan hatten.
    Am Ende des Flurs, wo es eine lange Treppe hinunterging, unterbrach Elorie ihren Weg und trat an eine Fenstervertiefung, die einen Ausblick auf die abendliche Landschaft erlaubte.
    »Sieh mal«, sagte sie und zeigte. »Von hier aus kannst du gerade noch die oberste Spitze des Bergs bei Thendara erkennen – wenn deine Augen sich darin geübt haben. Dort steht ein weiterer Comyn -Turm. Doch heute sind die meisten leer.«
    Kerwin strengte seine Augen an, sah aber nichts als die Ebene und die weit entfernten Vorberge, die in bläulichem Dunst verschwammen. Er gestand: »Ich bin immer noch ganz verwirrt. Ich weiß nicht recht, was die Comyn sind oder die Türme oder was eine Bewahrerin ist. Abgesehen davon«, setzte er lächelnd hinzu, »daß sie eine sehr schöne Frau ist.«
    Elorie sah ihn nur an, und vor diesem direkten Blick senkte Kerwin die Augen. Sie ließ ihn empfinden, daß das Kompliment sowohl grobschlächtig als auch aufdringlich gewesen war.
    Schließlich sagte sie: »Es wäre wohl einfacher, dir zu erklären, was wir tun, als was wir sind . Was wir sind … Da gibt es so viele Legenden, soviel alten Aberglauben, und irgendwie müssen wir uns nach dem allen richten …« Einen Augenblick lang sah sie in die Ferne, dann fuhr sie fort: »Eine Bewahrerin arbeitet vor allem in der zentralen Position, zentralpolar, wenn du willst – innerhalb eines Kreises von Matrix-Technikern. Die Bewahrerin …« Eine leichte Falte erschien zwischen Elories hellen Augenbrauen. Offenbar überlegte sie, wie sie es in Worte fassen konnte, die er verstand. »Eine Bewahrerin ist, technisch gesehen, nichts anderes als eine besonders ausgebildete

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