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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyn
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ständig ärgerlich und gereizt – davon rede ich!«
    Ich bin noch nie besonders gut mit direkten Angriffen klargekommen. In trägen Augenblicken schreibe ich dies meiner irischen Seite zu, aber meine Mutter war unendlich geduldig. Nein, dies ist ganz allein meine Eigenart. Wenn ich in eine Ecke gedrängt werde, verliere ich jeden moralischen Maßstab. Ich will nur raus aus dieser Ecke, und ich kämpfe so dreckig und gemein, wie es nötig ist, um das zu schaffen. Matt hatte seinen Fehler. Er unterdrückte seinen Ärger immer viel zu lange. Das passte nicht sonderlich gut zu meinem Fehler – anzugreifen ohne zu zögern, ohne jeden Gedanken an die Konsequenzen, wenn ich mit dem Rücken zur Wand stehe. Dieses Problem bekamen wir nie richtig in den Griff. Es war eine der Unzulänglichkeiten unserer Beziehung. Ich denke auch daran mit Sehnsucht zurück.
    Matt jedenfalls hatte mich in eine Ecke gedrängt, aus der es keinen Ausweg gab, und ich reagierte wie stets, wenn ich nicht weiterweiß: Ich verpasste ihm einen Tiefschlag von der gemeinsten Sorte.
    »Ich soll also den Eltern der kleinen Mädchen sagen, dass ich keine Zeit habe, den Kerl zu schnappen, der es getan hat, wie? Gut, Matt, ich arbeite in Zukunft pünktlich von neun bis fünf. Aber wenn das nächste Mädchen ermordet wird, dann siehst du dir die Bilder an, und du gehst zu ihren Eltern und sprichst mit ihnen, und gleichzeitig wirst du versuchen, es unserer Familie recht zu machen!«
    Diese Worte waren kalt, grausam und schrecklich unfair. Doch so ist das mit meiner Arbeit, dachte ich voller Wut, und in diesem Augenblick hasste ich Matt, weil er es nicht verstand. Wenn ich mit meiner Familie zu Hause sitze, gebe ich dem Mörder mehr Bewegungsspielraum. Wenn ich mich hingegen der Jagd nach dem Täter widme, ist meine Familie wütend und einsam. Es ist ein ständiger Balanceakt, der unendlich viel Kraft kostet.
    Matt lief rot an. »Scheiße, Smoky«, fauchte er und schüttelte den Kopf. »Deine Seele ist wie ein Diamant.«
    »Was zur Hölle soll das nun schon wieder heißen?«, fragte ich wütend.
    Er starrte mich missmutig an. »Es soll heißen, dass du eine wundervolle Seele hast, Smoky. Wunderschön wie ein Diamant. Und manchmal genauso hart und kalt wie einer.«
    Diese Worte schmerzten mich so sehr, dass meine eigene Wut sofort verrauchte. Es sah Matt nicht ähnlich, so grausame Worte zu sagen. Das war stets meine Spezialität gewesen, und ich empfand es als niederschmetternd und vernichtend, so etwas von ihm zu hören. Und ich spürte etwas, tief in mir: Angst, dass er vielleicht, ganz vielleicht Recht haben könnte. Ich erinnere mich, wie ich ihn schockiert mit offenem Mund anstarrte. Er erwiderte meinen Blick, sah mir direkt in die Augen, und über sein Gesicht lief eine winzige Andeutung von Verlegenheit.
    »Ach, verdammt!«, schnappte er, wandte sich ab und stampfte nach oben. Ich blieb allein und mit wundem Herzen in der Dunkelheit unseres Wohnzimmers zurück.
    Wir vertrugen uns natürlich wieder und überwanden unsere Krise. Darum geht es bei der Liebe, das begriff ich irgendwann in meinem tiefsten Innern. Liebe ist nicht Romantik oder Leidenschaft. Liebe ist ein Zustand der Gnade. Man erfährt sie, wenn man die absolute Wahrheit über den anderen akzeptiert, sowohl seine schlechten als auch seine guten Seiten. Und wenn der andere dies ebenso einem selbst gegenüber tut und man feststellt, dass man immer noch sein Leben mit ihm teilen möchte. Wenn man vom anderen die schlimmsten Dinge weiß und ihn trotzdem mit Leib und Seele will. Und weiß, dass es dem anderen genauso geht.
    Das vermittelt einem ein Gefühl von Sicherheit und Stärke. Und wenn man dieses Stadium erreicht hat, sind Romantik und Leidenschaft nicht mehr glühend und heftig, sondern unverwüstlich und ewig. – Bis einer stirbt, heißt das.
    Ich erwache nicht schreiend aus meinem Traum. Ich wache einfach nur auf. Tränen laufen mir über die Wangen. Ich lasse sie trocknen und lausche meinem Atem, bis mich der Schlaf erneut übermannt.

KAPITEL 36
    Die anderen sehen so aus, wie ich mich fühle. Leo noch schlimmer.
    »Du bist heute Nacht hier geblieben, hab ich Recht?«, frage ich ihn.
    Er antwortet mit einem Blick aus müden Augen und murmelt etwas Unverständliches vor sich hin.
    »Deine eigene Schuld. Also, hört zu«, wende ich mich an alle. »Callie und Alan, ihr beide kommt mit mir runter zum Parkplatz. Leo und James, ich möchte, dass ihr mit eurer Arbeit weitermacht.«
    Sie

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