Die Blutlinie
vor Glückseligkeit. Seine Erektion ist verschwunden.
Er blickt wieder zu einer Stelle außerhalb der Kamera. Sein Gesichtsausdruck ist anbetend. »Darf ich es jetzt sagen?« Er wendet sich an die Kamera, blickt direkt hinein. Er lächelt ohne jede Spur von Menschlichkeit oder geistiger Klarheit. »Das war für dich, Smoky.«
»O Mann …«, stöhnt Leo.
Ich sage nichts. Ein Teil von mir hat sich abgeschaltet. Ich beobachte weiter.
Barnes blickt wieder zur Seite. »War das gut so? Wie du es dir vorgestellt hast?« Ich sehe, wie sich sein Gesichtsausdruck ändert. Zuerst Verwirrung, dann Angst. »Was machst du da?«
Als der Schuss ertönt, sein Gehirn zerfetzt, springe ich unwillkürlich auf und werfe meinen Stuhl hinter mir um.
»Scheiße!«, brüllt Alan, gleichermaßen erschrocken.
Ich beuge mich vor, packe die Schreibtischplatte, zittere am ganzen Leib. Ich weiß, was jetzt kommt. Kommen muss. Er wird diese Gelegenheit nicht versäumen. Und er enttäuscht mich nicht. Sein verhülltes Gesicht erscheint vor der Kamera, Fältchen um die Augen, weil er unter dem Stoff grinst. Er grüßt uns mit erhobenem Daumen.
Das Video endet.
Alle sind schockiert und still. Leo wischt sich über den Mund. Sergeant Oldfields Hand hat den Kolben seiner Dienstwaffe umklammert, ein unbewusster Reflex.
Mein Verstand fühlt sich an wie ein leerer, hohler Raum. Der Wind fegt hindurch, bläst Steppenroller vor sich her. Mich selbst wieder in den Griff zu bekommen ist fast eine wörtlich zu nehmende Anstrengung.
Meine Stimme ist voll heißer Wut, als ich spreche. Gepresst und rauchig. »Zurück an die Arbeit«, sage ich.
Alle sehen mich an, als hätte ich den Verstand verloren.
»Los, Leute!«, fauche ich. »Reißt euch zusammen! Das ist nichts weiter als ein weiteres verdammtes Ablenkungsmanöver. Er spielt mit uns. Reißt euch zusammen, und macht eure Arbeit! Ich werde diesen Agent Jenkins anrufen.« Meine Stimme klingt fest, doch ich zittere immer noch.
Es dauert eine Minute, bis meine Worte zu ihnen durchgedrungen sind. Dann setzen sie sich in Bewegung. Ich nehme den Hörer von der Gabel, rufe in der Vermittlung an, lasse mich mit dem FBI-Hauptquartier in New York verbinden. Es geschieht wie automatisch. In meinem Kopf dreht sich alles. Als ich verbunden bin, verlange ich Agent Jenkins. Überraschung, Überraschung – er arbeitet ebenfalls für das CASMIRC.
Ich werde durchgestellt. »Hier Special Agent Bob Jenkins«, meldet er sich.
»Hi Bob. Mein Name ist Smoky Barrett, CASMIRC Los Angeles.« Der normale Tonfall meiner Stimme überrascht mich. Hi, wie geht’s denn so – ich hab gerade zugesehen, wie eine Frau ausgeweidet wurde; was gibt’s Neues bei euch?
»Hi, Agent Barrett. Ich weiß, wer Sie sind.« Seine Stimme klingt neugierig. Ich wäre ebenfalls neugierig, wenn unsere Rollen vertauscht wären. »Was kann ich für Sie tun?«
Ich setze mich. Atme durch. Mein Herzschlag scheint sich langsam zu normalisieren. »Was können Sie mir über Ronnie Barnes erzählen?«
»Barnes?« Jenkins klingt überrascht. »Wow, das ist eine alte Geschichte. Liegt sechs Monate oder so zurück. Barnes hat fünf Frauen umgebracht und verstümmelt. Und ich meine verstümmelt. Um ganz ehrlich zu sein, es war ein einfacher Fall für uns. Jemand in seinem Haus hat einen Gestank bemerkt und die Polizei alarmiert. Die Beamten sind in seine Wohnung eingedrungen, fanden eine der toten Frauen und Barnes. Er hat sich selbst in den Kopf geschossen. Der Fall war abgeschlossen, bevor er richtig angefangen hatte.«
»Ich habe Neuigkeiten für Sie, Bob. Barnes hat sich nicht selbst erschossen.«
Eine lange Pause. »Reden Sie weiter«, verlangt er schließlich.
Ich liefere ihm eine kurze Zusammenfassung von Jack Junior und dem letzten Brief, den er uns geschickt hat. Das Video. Als ich fertig bin, schweigt Jenkins eine ganze Weile.
»Ich schätze, ich bin genauso lange im Geschäft wie Sie, Smoky«, sagt er schließlich. »Ist Ihnen je etwas in dieser Art untergekommen?«
»Nein.«
»Mir auch nicht.« Er seufzt. Es ist ein Seufzer, den ich zu erkennen glaube. Ein Eingeständnis, dass die Monster sich weiterentwickeln, mutieren und von Mal zu Mal schlimmer zu werden scheinen. »Kann ich irgendwas für Sie tun?«, fragt er.
»Könnten Sie mir eine Kopie der Akte über Barnes schicken? Ich bezweifle, dass wir etwas finden. Der Kerl ist extrem vorsichtig. Trotzdem …«
»Sicher. Sonst noch etwas?«
»Ja. Aus reiner Neugier. Wann starb
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