Die Blutlinie
alles in einem unerträglichen Ausmaß.
Jack Junior erscheint vor der Kamera. Er trägt dasselbe Kostüm wie bei der Ermordung Annies. Er winkt in die Kamera, und erneut bekomme ich das Gefühl, dass er grinst. Das Grinsen ist nur für uns – er liebt die Vorstellung, dass sein Verbrechen auf Band festgehalten wird, dass er es praktisch vor unseren Augen begeht, ohne uns den kleinsten Hinweis auf seine Identität zu geben. Er verlässt den Aufnahmebereich. Einen Augenblick später setzt Musik ein. Geradezu betäubend laut.
» I wish they all could be California giiirls … «von den Beach Boys tönt aus den kleinen Lautsprechern von Leos Notebook.
Jack Junior geht zu der Frau, neigt den Kopf nach links und rechts, während er sie betrachtet. Dann nimmt er seine Waffe. Diesmal kein Messer. Diesmal einen Baseballschläger. Er beginnt um sie herumzutanzen und zu springen, wedelt mit dem Schläger, stimmt sich in den Rhythmus des Songs ein. Er führt ein paar angedeutete Schläge aus, um die Angst seines Opfers weiter zu steigern. Ihre Augen quellen hervor, ihr Gesicht ist hochrot, während sie durch ihren Knebel hindurch zu schreien versucht.
Und dann, genau wie in Annies Video, beginnt die Montage. Alles geschieht mit einer entschlossenen, bedenkenlosen Brutalität. Es ist nichts Klinisches, nichts Handwerkliches daran. Als er zum Schlag ausholt, schwingt er den Schläger hoch über den Kopf, legt sein ganzes Gewicht hinein. Er bricht die Knochen offenbar nicht nur, er scheint sie zu pulverisieren. Jedes Mal, wenn sie bewusstlos wird, hält er inne und schlägt ihr ins Gesicht, bis sie wieder aufwacht. Er will, dass sie da ist, dass sie miterlebt, was mit ihr geschieht. Dass sie jede einzelne Sekunde ihres Sterbens spürt.
Er legt den Schläger nieder und setzt sich rittlings auf sie. Die Vergewaltigung beginnt. Er ist unglaublich brutal, auf maximale Bewegung aus. Er will, dass ihre gebrochenen Knochen aneinander reiben, will, dass diese Vergewaltigung das Schlimmste an Schmerzen ist, was sie je erlebt hat. Und wieder weckt er sie jedes Mal auf, wenn sie das Bewusstsein verliert. Es muss für sie gewesen sein, als erwache sie in einem Alptraum, denke ich, immer und immer wieder.
Die Vergewaltigung endet, und er zieht das Skalpell heraus. Er zeigt es ihr. Packt ihr Kinn und zwingt sie, es anzusehen, zu begreifen, was nun kommt. Ihre Augen folgen dem Skalpell, fixieren es, als es an ihrem Bauch nach unten gleitet. Ich beobachte, wie sie sich aufbäumt, als er sie zu sezieren beginnt, bei lebendigem Leib.
Ich blicke zu Leo hinüber. Er ist grün im Gesicht, voller Entsetzen, doch diesmal übergibt er sich nicht. Er ist jetzt abgehärtet, ist zu jemand anderem geworden, verändert für immer.
Als die Frau tot und ausgeweidet ist, steht Jack Junior auf. Er starrt lange, lange Zeit auf sein Opfer hinab. Sie sieht aus, als hätte sie eine Bombe schlucken müssen, die in ihrem Inneren explodiert ist. Schließlich wendet er sich zur Kamera um, blickt uns an, mit erhobenem Daumen. Damit endet der Film.
»Du hältst dich wahrscheinlich für unendlich lustig«, murmele ich wütend vor mich hin. »Lach nur weiter, du Abschaum.« Es fühlt sich genauso ohnmächtig an, wie es klingt.
Die anderen schweigen. Versuchen, die Bilder zu verdauen, die wir soeben gesehen haben. Sie in kleine Happen aufzuteilen. Damit zurechtzukommen.
»Überprüf die Adresse dieser Webseite, Leo«, sage ich. »Finde heraus, wer diese Frau war.«
»Bin schon dabei«, antwortet er leise. Zögert. »Wie … wie kann ein Mensch so etwas tun?«, fragt er. Seine Augen bohren sich in meine, flehen mich um eine Antwort an. Ich überlege, bevor ich etwas sage, wähle meine Worte mit Bedacht.
»Er kann es, weil er es genießt. Es ist seine Art von Sex, und seine Gier danach ist größer, beherrschender, als jeder Junkie auf Entzug sie jemals empfinden könnte. Es gibt alle möglichen Gründe, warum Menschen so werden. Doch der wichtigste ist der, dass sie lieben, was sie tun. Leidenschaftlich.« Ich sehe James an. »Wie lautet dieser Ausdruck, den du dafür geschaffen hast?«
»Sexuelle Fleischfresser.«
»Genau.«
Leo erschauert. »So habe ich mir das nicht vorgestellt. Überhaupt nicht.«
»Ich weiß, das kannst du mir glauben. Alle stellen sich vor, es sei aufregend, Serienmörder oder Babyvergewaltiger oder andere Monster zu jagen. Es ist nicht aufregend. Es frisst dich auf. Du erwachst morgens nicht mit dem Gedanken: ›Meine Güte, ich kann es
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