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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyn
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Die meisten von uns reagieren nicht sofort mit entschlossenem Widerstand. Stattdessen suchen wir nach Gründen, versuchen zu begreifen, warum etwas geschieht. Und in diesem Augenblick des Zauderns und der Verwirrung ergreift der Jäger die Initiative.
    Vielleicht war sie trotzdem schnell. Vielleicht hat sie den Mund aufgerissen, um zu schreien, noch während sich die Tür schloss. Darauf wären sie vorbereitet gewesen. Womit? Ein Messer? Nein. Kein Kind, das sie diesmal als Geisel hätten nehmen können. Sie brauchten eine direktere Drohung. Eine Schusswaffe? Ja. Es geht nichts über den dunklen, bedrohlichen Lauf einer Schusswaffe, um jemanden am Schreien zu hindern.
    » Halt den Mund, oder du stirbst « , sagt einer von ihnen. Seine Stimme ist ruhig, nüchtern. Das macht es noch beängstigender. Noch glaubwürdiger. Sie hat gespürt, dass sie jemanden vor sich hat, der sie erschießen und dabei gelangweilt gähnen kann.
    Ich nähere mich dem Schlafzimmer. Der Gestank wird stärker. Ich erkenne das Schlafzimmer aus dem Video. Die Einrichtung ist rosa und hell und geschmackvoll. Sie zeugt von Jugend. Von sorglosem Glück.
    Und in der Mitte dieser weichen Süße das Härteste, was es gibt. Sie selbst. Tot und bereits verwesend an ihr Bett gefesselt.
    Sie ist mit offenen Augen gestorben. Ihre Beine sind gespreizt. Die Täter haben sie absichtlich so liegen lassen. Um uns gegenüber zu prahlen. Wir hatten sie, sagen sie damit, und sie ist nichts. Eine wertlose Hure. Wir hatten sie.
    Ich sehe die Plastikbeutel, die neben dem Bett aufgereiht stehen. Während die Leiche ein Anblick nackter Gewalt ist, voller Chaos und Erniedrigung, bilden die Beutel einen diametralen Kontrast. Sie sind in einer exakt geraden Reihe nebeneinander ausgerichtet. Sauber und ordentlich. Auch das Prahlerei. Spott. Seht, wie sauber und geschickt wir sind, scheinen sie zu sagen. Oder vielleicht sprechen sie auch eine Sprache, die nur sie selbst verstehen, schreiben in blutigen Piktogrammen, die wir nicht zu entschlüsseln vermögen.
    Alles deutet auf ein sorgfältig ausgeführtes Ritual. So hätte Jack the Ripper es getan, glauben sie, also machen sie es ebenfalls so. Ich bin fasziniert von dem Gefühl der Konzentration, das in mir entsteht. Sie waren an ihr interessiert, einzig und allein an ihr. Nichts anderes im Raum wurde berührt oder beschädigt. Ihre Gier, sie zu besitzen, erstreckte sich nicht auf ihre Umgebung. Sie war genug.
    Ich bewege mich durch das Zimmer und blicke mich um. Jede Menge Bücher. Zerlesen und ohne erkennbare Ordnung. Sie füllen nicht einfach einen leeren Raum aus – ihre Besitzerin hat sie gelesen. Ich beuge mich vor, um einen Blick auf die Titel zu werfen, und ein Stich aus Trauer, Ironie und galligem Humor trifft mich. Auf wahren Begebenheiten basierende Kriminalromane, viele von ihnen handeln von Serienmördern.
    »Helter Skelter«, murmele ich. {4}
    Ich wende mich dem Bett zu, verenge die Augen, als ich ihre Kleidung in einem Haufen auf dem Boden bemerke. Ich beuge mich nieder, ohne etwas anzufassen. Ihr Büstenhalter ist zerrissen, genau wie ihr Höschen. Sie hat sich die Sachen nicht selbst ausgezogen. Sie wurden ihr vom Leib gerissen.
    Ich stehe auf und betrachte ihr totes Gesicht, erstarrt in einem ewigen Schrei. »Hast du gegen sie gekämpft, Charlotte?«, frage ich. »Als sie dir befahlen, deinen BH und dein Höschen auszuziehen – hast du da zu ihnen gesagt, dass sie sich zum Teufel scheren sollen?«
    Sie steht neben dem Bett, in Unterwäsche, zitternd vom Adrenalin, dass die Angst in ihre Blutbahn gepumpt hat.
    Einer von ihnen richtet die Pistole auf sie. » Los, alles « , sagt er. » Zieh dich ganz aus. Jetzt. «
    Sie steht ihn an, dann den anderen. Im Gegensatz zu Annie weiß sie, was geschehen wird, noch bevor sie von ihnen ans Bett gefesselt wird.
    Diese leeren Augen. Sie weiß Bescheid.
    » FICKT EUCH! « , schreit sie, wendet sich gegen den mit der Pistole, tritt und schlägt nach ihm. » HILFE! HILFE! «
    Ich blicke auf ihren toten Körper hinab. Sehe die Prellungen, die blauen Flecken in ihrem Gesicht, um die Augen herum. Sind sie entstanden, bevor oder nachdem sie ans Bett gefesselt wurde? Ich werde es niemals mit Sicherheit sagen können. Ich entscheide, dass es vorher war. Es spielt keine Rolle, ob es stimmt oder nicht. Doch ich fühle mich besser, wenn ich es auf diese Weise sehe.
    Er ist außer sich, weil diese Nutte ihn mit ihren Hurenhänden berührt hat. Und er bekommt für einen winzigen

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