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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyn
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einem unendlichen Zorn auf eine Welt erfüllt, in der Individuen wie das, das seine Schwester ermordet hat, existieren können. Trotzdem habe ich schon lange aufgehört, ihm seine Art zu verzeihen. Dazu ist er ein viel zu großes Arschloch.
    Doch er ist brillant, und seine Brillanz blendet seine Umgebung wie nicht erlöschen wollende Blitzlichter. Und er teilt eine Fähigkeit mit mir, die uns verbindet, eine Gabe, die eine Nabelschnur erzeugt und ihn zu meinem bösen Zwilling macht. Er kann sich in einen Mörder hineinversetzen. Er ist imstande, in die Winkel und dunklen Ecken zu gleiten, die Schatten zu analysieren, das Böse zu begreifen. Ich kann das ebenfalls. Es ist nicht ungewöhnlich, dass wir in gewissen Stadien eines Falles zusammenarbeiten, auf eine sehr intime Weise. Während solcher Zeiten kommen wir miteinander aus wie Öl und Kugellager, gleitend, fließend, unaufhaltsam. Die restliche Zeit ist seine Gegenwart für mich ungefähr so angenehm, wie mit Sandpapier geschmirgelt zu werden.
    »Ich freue mich auch, dich zu sehen«, antworte ich.
    »Hey, du Arschloch«, brummt Alan leise in dunklem, drohendem Ton.
    James verschränkt die Hände vor der Brust und starrt Alan kalt und direkt an. Noch so eine Fähigkeit von James, die ich widerwillig bewundere. Obwohl er nur einen Meter dreiundsiebzig groß ist und knapp sechzig Kilo wiegt, ist es beinahe unmöglich, ihn einzuschüchtern. Nichts scheint ihm Angst zu machen. »Es war nur eine Frage«, erwidert er.
    »Na, was hältst du dann davon, deine verdammte Klappe zu halten?«
    Ich lege Alan eine Hand auf die Schulter. »Es ist schon gut.«
    Die beiden funkeln sich noch einen Moment länger an. Es ist Alan, der den Blickkontakt mit einem Seufzer beendet. James mustert mich mit einem langen, abschätzenden Blick, dann wendet er sich ab und versenkt sich wieder in die Akte, in der er gelesen hat.
    Alan sieht mich kopfschüttelnd an. »Entschuldige.«
    Ich lächle. Wie soll ich ihm erklären, dass selbst das, dieses Verhalten Damiens, im Moment genau das Richtige ist für mich? Es ist etwas, das noch so ist, wie es einmal war. James geht mir noch immer auf die Nerven, und das tröstet mich.
    Ich beschließe, das Thema zu wechseln. »Was gibt’s hier Neues?«, frage ich.
    Ich trete ein paar Schritte vor, bis ich mitten im Büro stehe, und mustere die Korktafeln und die Schreibtische. Callie hat die Abteilung geleitet, während ich weg war, und sie ist es auch, die das Wort ergreift.
    »Es war ruhig bei uns, Zuckerschnäuzchen.« Callie nennt jeden Zuckerschnäuzchen. Es heißt, sie hätte einen schriftlichen Verweis in ihrer Personalakte, weil sie sogar den Direktor Zuckerschnäuzchen genannt hat. Es ist eine Marotte, die sie sich zu ihrem eigenen Amüsement angewöhnt hat. Callie kommt nicht aus dem Süden, ganz und gar nicht. Einige Leute ärgern sich endlos über ihre Art. Für mich ist es einfach nur Callie. »Keine Serienmorde, zwei Entführungen. Wir haben uns ein paar der älteren, kälteren Fälle vorgenommen.« Sie lächelt. »Vermutlich sind all die bösen Buben mit dir zusammen auf Urlaub gegangen.«
    »Wie sind die Entführungen ausgegangen?« Kindesentführungen gehören zu unserem Alltagsgeschäft und sind etwas, das alle anständigen Männer und Frauen bei den Vollzugsbehörden fürchten. Es geht nur selten um Geld. Meist geht es um Sex, Schmerzen und Tod.
    »Eins haben wir lebend gefunden, eins war tot.«
    Ich starre auf die Korktafel, ohne sie wirklich anzusehen. »Wenigstens haben wir beide gefunden«, murmele ich. Viel zu häufig ist das nicht der Fall. Jeder, der glaubt, keine Nachricht sei eine gute Nachricht, hat keine Ahnung davon, wie es ist, Vater oder Mutter eines gekidnappten Kindes zu sein. In diesem Fall ist keine Nachricht nämlich wie ein Krebs, der nicht tötet, sondern stattdessen die Seele aushöhlt. Oft sind Eltern im Verlauf der Jahre wieder und wieder zu mir gekommen in der Hoffnung, eine Nachricht über ihr Kind zu erhalten, eine Nachricht, die ich ihnen nicht geben konnte. Ich habe mit angesehen, wie sie von Mal zu Mal dünner wurden. Bitterer. Ich habe mit angesehen, wie die Hoffnung in ihren Augen starb und ihre Haare grau wurden. In Fällen wie diesen wäre es ein Segen, wenn wir wenigstens die Leiche des Kindes finden würden. Dann könnten sie wenigstens in Gewissheit trauern.
    Ich wende mich an Callie. »Und wie gefällt es dir, der Boss zu sein?«
    Sie schenkt mir ein typisches, gespielt hochnäsiges Callie-Lächeln.

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