Die Blutlinie
Berges, streckt seinen Leib, so weit er kann, reckt einen Finger in die Höhe, nicht um das Antlitz Gottes zu berühren, nicht um MEHR zu sein, sondern um NICHTS zu werden, ÜBERHAUPT NICHTS, und er wirft den Kopf in den Nacken, als sein Körper unter der Wucht eines Orgasmus erzittert, der stärker ist, als er zu ertragen vermag.
Dann ist es vorbei, und die Wut, die immer in ihm schwelt, kehrt zurück.
Ein leichtes Flimmern sticht mir ins Auge. »Warte mal«, sage ich und spule den Film über den Mediaplayer ein Stück zurück. Ich lasse es erneut ablaufen. Das gleiche Flimmern. Ich runzele frustriert die Stirn. »Irgendwas stimmt nicht. Ich weiß nur nicht, was.«
»Können wir den Film nicht in Einzelbildern ablaufen lassen?«, fragt James.
Wir spielen mit der Software herum, bis wir eine Einstellung gefunden haben, die uns zwar keine Einzelbilder, doch zumindest eine Zeitlupenwiedergabe ermöglicht.
»Irgendwo hier«, murmele ich.
Wir beugen uns beide vor und starren angestrengt auf den Schirm. Es ist gegen Ende des Films. Er steht neben Annies Bett, ich sehe ein Flackern, und er steht immer noch neben Annies Bett, aber irgendetwas ist anders.
James bemerkt es als Erster.
»Wo ist das Bild?«
Wir spulen erneut zurück. Er steht neben dem Bett, und an der Wand hinter ihm hängt ein Bild von einer Vase mit Sonnenblumen. Das Flackern, er steht noch immer neben dem Bett … und das Bild ist verschwunden.
»Was zur Hölle …?« Ich blicke zur Stelle an der Wand, wo das Bild hängen müsste. Ich entdecke es am Boden; es lehnt neben dem umgestürzten Nachttisch.
»Warum hat er es von der Wand genommen?«, fragt James. Die Frage ist an ihn selbst gerichtet, nicht an mich.
Wir lassen den Film erneut ablaufen. Er steht neben dem Bett, das Bild hängt an der Wand, Flimmern – er steht neben dem Bett, das Bild ist weg. Wieder und wieder. Stehen, Bild, Flimmern – Stehen, kein Bild … kein Bild, kein Bild, kein Bild.
Das Begreifen kommt nicht allmählich. Es überfällt mich blitzartig. Mein Unterkiefer sackt herab, und mir wird schwindlig. »Mein Gott!«, rufe ich so laut, dass James zusammenzuckt.
»Was?«
Ich spule den Film zurück. »Sieh noch mal genau hin. Achte diesmal darauf, wo die Oberkante des Bilderrahmens ist, und such die Stelle an der Wand, nachdem das Bild verschwunden ist.«
Der Film läuft ab, wir kommen an die Stelle mit dem Flimmern, und James runzelt die Stirn. »Ich begreife nicht …« Er hält inne und reißt die Augen auf. »Ist das möglich?« Er klingt ungläubig. Ich lasse den Film erneut durchlaufen.
Es besteht kein Zweifel. Wir starren einander an. Alles hat sich schlagartig verändert.
Wir wissen jetzt, warum das Bild entfernt wurde. Es wurde entfernt, weil es einen Anhaltspunkt darstellt. Einen Anhaltspunkt für die Höhe.
Der Mann, der über Annie am Bett gestanden hat, während das Bild noch an der Wand hing, war gut fünf Zentimeter größer als der Mann, der hinterher dort steht, nachdem das Bild entfernt wurde.
Wir haben den Maschinenraum des schwarzen Zuges erreicht, und der Schock dessen, was wir dort sehen, schleudert uns hinaus.
Es gibt nicht nur einen Zugführer. Es sind zwei.
KAPITEL 15
»Sie haben Recht«, sagt Leo. Er blickt erstaunt zu mir und James auf.
Er ist soeben mit der Analyse des Videos fertig geworden. »Dieses Flackern kommt von einem schlechten Übergang beim Schnitt.«
Callie, Jenny und Charlie sind ebenfalls da und drängen sich mit uns um den Bildschirm. Wir haben ihnen die Abfolge der Ereignisse geschildert, wie wir sie gesehen haben, und am Schluss die Bombe platzen lassen.
Jenny starrt mich an. »Wow!«
»Ist Ihnen so etwas schon mal begegnet?«, fragt Charlie. »Zwei von der Sorte, die zusammenarbeiten?«
Ich nicke. »Einmal. Das war allerdings eine andere Geschichte. Ein Mann und eine Frau, die sich zusammengetan haben, und der Mann war dominant. Zwei Männer, die zusammenarbeiten, das ist höchst ungewöhnlich. Was sie tun, ist etwas sehr Persönliches für sie. Intim. Die meisten teilen diesen Augenblick nicht gern.«
Alle sind still, während sie über meine Worte nachdenken. Callie durchbricht als Erste das Schweigen. »Ich sollte das Bett nach Fingerabdrücken untersuchen, Zuckerschnäuzchen.«
»Ich hätte daran denken müssen«, sagt Jenny.
»Ja, das hätten Sie«, faucht James. Er ist wieder das alte Ekel.
Jenny funkelt ihn an. Er ignoriert sie und wendet sich ab, um Callie bei der Arbeit zuzusehen. Callie packt
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