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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyn
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sieht mich an, forschend, ängstlich. Doch sie nickt.
    »Es waren zwei böse Männer da, ist das richtig?«
    Angst. Ihre Lippe zittert. Sie nickt.
    Ja.
    »Gut, Schatz. Noch eine weitere Frage, und dann reden wir für den Augenblick nicht mehr darüber. Hast du das Gesicht von einem der beiden gesehen?«
    Sie schließt die Augen. Schluckt. Öffnet die Augen wieder. Schüttelt den Kopf.
    Nein.
    Innerlich seufze ich. Es überrascht mich nicht, aber es ist frustrierend. Später. Ich nehme Bonnies Hand.
    »Es tut mir so Leid, meine Süße. Du hast nach mir gefragt. Du musst nicht mit mir reden, wenn du noch nicht kannst. Vielleicht kannst du es mir zeigen?«
    Sie sieht mich weiterhin an. Sie scheint nach irgendetwas in meinen Augen zu suchen. Etwas, das sie beruhigt. Ich vermag nicht zu erkennen, ob sie es findet oder nicht. Aber sie nickt.
    Dann streckt sie die Hand aus und ergreift die meine. Ich warte, doch das ist alles, was sie tut. Und dann begreife ich.
    »Du möchtest mit mir kommen?«
    Sie nickt erneut.
    Eine Million Gedanken schießen mir gleichzeitig durch den Kopf. Wie unfähig ich beispielsweise immer noch bin, auf mich selbst aufzupassen, geschweige denn, für sie zu sorgen. Dass ich an einem Fall arbeite, und wer soll solange auf sie aufpassen? Ich denke diese Dinge, trotzdem zählt nichts von alledem wirklich. Ich schweige und lächle sie an und drücke ihre Hand. »Ich muss noch ein paar Dinge erledigen, aber sobald ich damit fertig bin und San Francisco verlasse, komme ich dich holen.«
    Sie sieht mir weiter in die Augen. Scheint endlich zu finden, wonach sie gesucht hat. Sie drückt meine Hand, dann lässt sie los, dreht den Kopf in das Kissen und schließt die Augen. Ich stehe für einen Moment da und sehe auf sie hinab.
    Als ich leise aus dem Zimmer gehe, weiß ich, dass sich etwas in meinem Leben geändert hat. Ich frage mich, ob zum Guten oder zum Schlechten, und erkenne, dass es keine Rolle spielt. Es geht nicht um Gut oder Schlecht oder Indifferent. Es geht ums Überleben. Das ist die Ebene, auf der wir gegenwärtig funktionieren, alle beide, Bonnie genauso wie ich.
     
    Wir sitzen im Wagen und fahren zum SFPD zurück. Niemand spricht ein Wort.
    Schließlich durchbricht Jenny das Schweigen. »Wirst du sie zu dir nehmen?«, fragt sie.
    »Ich bin alles, was sie hat. Und vielleicht ist sie alles, was ich habe.«
    Jenny denkt darüber nach. Dann erscheint ein schwaches Lächeln auf ihrem Gesicht. »Das ist gut, Smoky. Wirklich gut. Ein Kind in ihrem Alter in der Fürsorge, das ist nicht gut. Sie ist zu alt. Niemand würde sie adoptieren.«
    Ich drehe mich zu Jenny um. Ich spüre etwas Verborgenes. Irgendeinen Unterton, der ihre Worte begleitet. Sie sieht mich nervös an, dann entspannt sie sich mit einem Seufzer.
    »Ich bin ein Waisenkind. Meine Eltern starben, als ich vier war, und ich bin in Heimen aufgewachsen. Niemand wollte damals ein Kind chinesischer Abstammung adoptieren.«
    Ich bin schockiert und überrascht zugleich. »Ich hatte ja keine Ahnung!«
    Sie zuckt die Schultern. »So was erzählt man nicht unbedingt herum. Nach der Art: ›Hi, ich bin Jenny Chang, und ich bin eine Waise.‹« Sie sieht mich an, um zu betonen, dass dies auch jetzt gilt. Dann fährt sie fort: »Aber ich will dir eins sagen: Du hast eine gute Entscheidung getroffen. Gut und rein.«
    Ich denke darüber nach und weiß, dass sie meint, was sie sagt. »Es fühlt sich richtig an. Annie hat mir ihre Tochter überantwortet – jedenfalls hat man mir das so gesagt. Ich habe ihr Testament noch nicht gesehen. Ist es wahr, dass das Testament neben Annies Leiche gelegen hat?«
    »Ja. Steht in den Akten.«
    »Hast du es gelesen?«
    »Ja.« Sie stockt erneut. Eine weitere dieser schweren, nachdenklichen Pausen. »Sie hat alles in deine Hände gegeben, Smoky. Die Tochter ist die eigentliche Erbin, doch sie hat dich als Vormund und Treuhänderin benannt. Ihr müsst sehr gute Freundinnen gewesen sein.«
    Der Gedanke schmerzt sehr. »Sie war meine beste Freundin. Seit der Highschool.«
    Jenny schweigt eine Weile. Als sie wieder spricht, ist es nur ein einziges Wort, gefüllt mit allem, was sie mich wissen lassen will. »Scheiße.«
    Scheiße.
    Scheißwelt.
    Scheißungerechtigkeit.
    Scheiße, was mit dir passiert ist, dass deine Tochter gestorben ist, dass Kinder überhaupt ermordet werden, und Scheiße, bis alles tot und begraben und zu Staub geworden ist für immer.
    Das ist es, was Jenny sagt.
    Ich antworte auf die gleiche Weise:

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