Die Blutmafia
nichts mehr zu wissen. Und er konnte nicht reden. Aus dem blauverfärbten, röchelnden Mund Cenitzas drang nur noch feuchtes, unverständliches Blubbern.
»Na gut, du willst es. Dann zeig' ich's dir …«
Es waren keine Fingerkuppen, die heranflogen, stahlharte Dolchspitzen waren das. Sie spalteten Cenitzas Augäpfel. Die Welt versank in Rot. Sein Schmerz entlud sich ein einziges, letztes Mal in einem grauenhaften, nicht enden wollenden Schrei, der erst dann abbrach, als der gleichzeitige Druck auf Schlag- und Drosselader die Lebenszufuhr seines Gehirns blockierte …
Der Mann mit den Rosen-Leggins glitt von der Liege und besah kopfschüttelnd seine beiden blutbeschmierten Mittelfinger. Dann ging er zum Waschbecken neben dem Schreibtisch und wusch sich die Hände. »Drecksau«, murmelte er, als er sie mit dem Handtuch abtrocknete, und sah sich um.
Die Flasche Bier. Der Teller. Die ungeöffnete Konservendose … »Hering in Paprikasauce«, kicherte er, um dann wieder den Kopf zu schütteln.
Nun entdeckte er die Kameratasche auf einem der beiden Hocker neben dem Tisch. Er nickte zufrieden und hängte den Tragegurt über die Schulter. Auf dem Tisch, neben dem Teller, lag eine grüne Aktenmappe. Er schlug sie auf, blätterte kurz die Papiere durch, schlug die Mappe wieder zu, drehte den Kopf und horchte.
Nichts. Nur das Rauschen der Wagen auf der Neu-Deich-Straße. Er nahm die Aktenmappe, schaltete das Licht aus, schlich auf Zehenspitzen durch den großen Waschraum, der den Blutspendern gedient hatte, und schloß die Tür. Dies alles, ohne einen einzigen Blick auf den Toten zu werfen …
Eine der Glasscheiben des kleinen Waschraumfensters war säuberlich mit einem Diamantschneider herausgetrennt worden. Sie lehnte am Boden. Der Flügel stand offen.
Der Mann schwang sich hinaus, setzte die Füße auf den Hof und ging langsam, ohne sich umzudrehen, auf die Einfahrt zu. Dort stand ein großer, rotmetallic gespritzter Mercedes der S-Klasse. Die Tür öffnete sich.
»Hat aber lange gedauert, verdammt noch mal«, sagte eine ungeduldige Stimme.
»Ja nun«, meinte der Mann in den Leggins, »ein bißchen Spaß soll ja auch dabei sein, oder? – Hier.«
»Was ist das?«
»Akten. Er wollte sie gerade fotografieren.«
An diesem Montagmorgen ließ Rio den Porsche in der Garage. Noch immer war Vera nicht aus Hamburg zurück, aber falls sie in der Zwischenzeit ankam, konnte sie den Wagen vielleicht gebrauchen.
Herrgott, wieso hatte sie es nicht für notwendig befunden, anzurufen? Er hatte jetzt weder Lust noch Zeit, sich darüber zu ärgern.
Die U 6 brachte ihn zum Rathausplatz. Als Rio mit der Rolltreppe hochfuhr, fühlte er einen feinen, schabenden Schmerz in den Schläfen. Selbst die Sonne, die über dem weiten Rathausplatz lag, stach ihm in die Augen.
Kurz nach zwei. Er zog eine Runde um den Platz. Er fühlte sich besser und ging hinüber zum Haupteingang von ›Sport Münzinger‹. Er war noch immer zu früh, doch er konnte bereits hinter einer Gruppe japanischer Touristen Novotnys unvermeidliche Lodenjacke und seinen roten Schal erkennen. Es hatte sich zwischen ihnen eingespielt, ja, war zu einer Art Ritual geworden, Treffen wie dieses nie im Präsidium abzuhalten.
»Na?« sagte Rio und deutete auf die Einkaufstasche, die Novotny in der Hand hielt: »Ein Tennisschläger? Willst du wieder aktiv werden?«
»Wollen schon – bloß können … Tommi hat Geburtstag. Er wollte so 'n Ding.«
Tommi war einer der Zwillinge seiner Schwester. Die wiederum war alleinerziehend, der Mann war ausgezogen, und seitdem bildeten die drei für den Junggesellen Novotny so eine Art Familienersatz.
»Vielleicht sollten wir auch mal wieder, was?«
»Vor allem du«, meinte der Kommissar knapp und warf einen forschenden Blick auf Rios blasses Gesicht. »Aber das ist jetzt nicht das Thema, oder?«
Rio nickte. »Warst du draußen in der Max-Ludwig-Klinik?«
»Ja. Den ganzen Morgen.«
»Und?«
Die große Glastür entließ den neuen Pulk von sportbegeisterten Käufern. Alle trugen sie die entsprechenden Klamotten: karierte Hemden, Freizeitanzüge. Und alle waren sie geradezu aufdringlich aufgekratzt.
»Hast du Lust auf ein Bier, Paul?«
»Wenn schon, dann Kaffee.«
»Na also. Ich auch.«
In dem großräumigen Lokal setzten sie sich ans Fenster. Um sie alte Damen, die gewaltige Tortenstücke vor sich stehen hatten und sich im Flüsterton unterhielten.
Novotny zündete sich eine Zigarette an, Rio kaute an seinem Zahnstocher.
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