Die Blutmafia
Pförtner vorbei und fuhr in den vierten Stock.
»Herr Olsen ist gerade bei Herrn Mahler«, meldete ihm die Sekretärin. »Er meinte, falls Sie auftauchen, sollten Sie doch gleich raufkommen …«
Mahler, das war sechster Stock. Eckzimmer – das Verlegerbüro, die Machtzentrale.
Als Rio den großen, holzgetäfelten Raum betrat, stand Walter Mahler am Fenster. Er hielt einen Bleistift in der Hand und dozierte. Das schien er nie im Sessel zu schaffen, dazu mußte er stehen. Olsen wiederum hatte den korpulenten Leib bequem in einen schwarzen Ledersessel versenkt und nickte ergeben vor sich hin.
»Ah, da sind Sie ja, Rio!« Der Verleger nickte leutselig. Mahler pflegte sich seine ewig braune Gesichtsfarbe auf den Golfplätzen oder, falls dies das Wetter nicht zuließ, beim Besuch einer seiner beiden Mittelmeervillen, notfalls auch im Bräunungsstudio zu holen. Sie wirkte nun einmal so beeindruckend zu dem Silberhaar und dem schneeweißen kleinen Dreieck seines Oberlippenbärtchens. Rio hatte sich schon oft gefragt, wieso er eigentlich rumlief wie ein Hollywood-Beau aus einem Fünfziger-Jahre-Film. Aber vielleicht bestand seine Frau darauf? Und worauf sie bestand, das war nicht nur in der Grünwalder Villa des Verlegers, sondern oft genug auch im Verlag Befehl.
»Also, Rio, Rio …«, machte er väterlich, »da haben Sie ja wieder ein dickes Ding aufgerissen.«
»Ich habe es nicht aufgerissen, Sie haben es mir an den Kopf geschmissen.«
»Hm. Wie auch immer, es ist eine ganz schreckliche Geschichte.«
Ja, dachte Rio sarkastisch, eine der ganz schrecklichen Geschichten, mit denen du deine Millionen machst.
»Und in irgendeiner Weise fühle ich mich, nun, sagen wir, davon sehr stark berührt. Diesen unglückseligen Menschen, diesen Reissner, kannte ich zwar nicht, aber sein Chef, Dr. Linder, ist – nun, man kann schon sagen – ein guter Bekannter von mir. Wir gehen oft miteinander golfen. Ein etwas komplizierter Herr, das schon, der typische Wirtschaftsautodidakt … Na ja, das gehört ja nicht hierher. Was ich nur sagen wollte, und wir sind uns sicher beide darüber im klaren: Diese Geschichte verspricht zwar ein Riesenecho, aber wir bewegen uns dabei auf vermintem Gelände. Es ist also eine gewisse Sensibilität notwendig. Sie wissen schon, was ich meine …«
Rio wußte, was er meinte. Den Spruch mit dem ›verminten Gelände‹ bekam er fast jedesmal zu hören, wenn Mahler sich herabließ, ihn zu empfangen.
»Herr Olsen meinte, angesichts der Brisanz des Themas wäre vielleicht eine Serie drin, aber da bin ich nicht so ganz seiner Meinung. Wir sollten das Thema durchrecherchieren, gründlich, ganz gründlich, Rio, aber dann doch je nach Erkenntnisstand berichten.«
Das Telefon klingelte. Mahler ging zum Schreibtisch, hob ab und wedelte huldvoll mit der linken Hand.
Sie waren entlassen.
»Dieses verdammte Arschloch«, knurrte der dicke Olsen, als sie im Lift zur Redaktion hinabfuhren, »Weißt du, was der mir gesagt hat? Ich solle auch mit Golf anfangen. Das sei nicht nur für den Kreislauf gut, Golf sei auch ein meditativer Sport. Beim Golfen bekäme man ganz automatisch den notwendigen Abstand zur Aktualität. Und ohne diesen Abstand könne man kein gutes Blatt machen … Das muß ich mir von so einer Flasche anhören!«
»Dann vergiß es!« riet Rio.
Sie durchquerten das Vorzimmer. Olsen setzte sich nicht, er riß ein Blatt Papier aus seinem Eingangskorb und wedelte Rio damit vor der Nase herum. »Ein Fax. Lüders hat das vor einer Stunde durchgegeben.«
Rio überflog den Text. Ein Mann namens Jürgen Cenitza war ermordet worden. Interessant dabei seien vor allem zwei Dinge, schrieb Lüders. Einmal die unglaubliche Grausamkeit bei der Ausführung, die die Kriminalpolizei auf die Vermutung gebracht hatte, Cenitza oder die Täter könnten im Milieu des organisierten Verbrechens, vielleicht sogar in einer russischen oder chinesischen Mafiabande zu suchen sein. Dem Opfer seien, bevor man es strangulierte, die Augen ausgestochen worden. Zum zweiten aber, das Tatopfer sei Angestellter einer hessischen Pharmafirma gewesen, die sich auf die Herstellung von Blutplasma und Blutpräparaten spezialisiert habe: der Firma ›Bio-Plasma‹ in Bernhagen …
»Das sind sie doch, die Brüder?« Olsen zog die dicken Augenbrauen hoch. »War doch Bio-Plasma, Bernhagen?«
Rio nickte.
»Da fährst du hin. Möglichst heute abend noch. Ich glaube ja nicht, daß da irgendwelche Zusammenhänge bestehen können, aber
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