Die Blutmafia
»Also? In der Klinik warst du … Und?«
»Und … Als ob das so einfach zu erklären wäre! Der Klinikchef, dieser Labek, war gar nicht da. Hat sich zu irgend so einem Chirurgenkongreß abgesetzt. Irgendwas ziemlich Exotisches. Hab' den Namen vergessen … Arzt müßte man sein. Da fährst du von Seebad zu Seebad, von Strand zu Strand, und im Winter geht's dann nach Davos oder so.«
»Und?« wiederholte Rio ungeduldig.
»Und, und, und … Der hat einen Stellvertreter, einen Dr. Weißmann. Zuerst versuchte der zu mauern: Archiv im Keller und OP-Berichte von vor sechs Jahren – äußerst schwierig, äußerst schwierig, Sie verstehen … Ich mußte ihm mit dem Staatsanwalt kommen, bis er endlich spurte. Und dann kam's: Nix mit Archiv im Keller. Die hatten ihre Berichte ganz ordentlich auf Mikrofilm gespeichert. Er brauchte nur ein bißchen am Computer zu tippen.«
Der Kaffee kam. Novotny verlangte ein Glas Wasser. Dann schüttete er seinen Zuckerbeutel im Zeitlupentempo aus, strich ihn flach und nahm mit wohligem Grunzen den ersten Schluck. Rio hatte Mühe, seine Ungeduld zu dämpfen. »Und weiter?«
»Na ja, im Grunde lief's genau auf das hinaus, was dir dein Freund schon gesagt hatte. Wie hieß der noch?«
»Herzog. Dr. Jan Herzog.«
»Gib mir mal die Adresse.«
Novotny fischte ein Notizbuch aus der Tasche und schrieb Herzogs Anschrift auf. Dann tauchte seine Hand in den Plastikbeutel mit der Aufschrift ›Sport Münzinger‹, holte ein zusammengefaltetes Blatt Papier heraus und schob es Rio über den Tisch. »Die Höflinger hat das Protokoll schon abgeschrieben. Tüchtig, was? Da hast du eine Fotokopie. Ich muß verrückt sein, daß ich das tue, aber was hilft's? Der Mensch soll zu seinen Schwächen stehen. Versprich mir bloß: Schließ das Ding sofort weg. Am besten verbrenn es.«
»Mach dir keine Sorgen. Ist doch klar …« Rio schob das Protokoll in seine Brusttasche. »Und was steht drin?«
»Die Nummer 12.426, das ist unser Ei«, sagte Novotny und sog an seiner Zigarette. »Ausgerechnet der erste Behälter. Insgesamt waren das zwölf, also bis 12.437.«
»Ich versteh' kein Wort.«
»Die Zahlen waren auf Plastikbeutel aufgedruckt. Dieselben Dinger, die du damals im Fernsehen sehen konntest, in jeder Nachrichten- oder Dokumentarsendung. Auch in der Presse … Kennst du doch.«
»Du meinst Plasmabeutel?«
»Plasma oder Vollblut – die Beutel sehen alle gleich aus. Ich hab' mir das alles angesehen. Jedenfalls … bei den zwölf Nummern, von 12.426 aufwärts, handelt es sich um Plasma. Sie wurden der Klinik von einer Firma aus Hessen geliefert. ›Bio-Plasma‹ heißt der Laden. ›Bio-Plasma‹ in Bernhagen … Die Firma beliefert die Klinik noch heute mit ihren wundersamen Erzeugnissen. Als Anbieter ist sie billiger als die anderen. Aber aus irgendwelchen Gründen – dieser Weißmann konnte sie mir nicht nennen – läuft die Zusammenarbeit jetzt aus. Die Max-Ludwig-Klinik hat sich einen neuen Lieferanten ausgeguckt, und ich glaube, daß sie verdammt gut daran tat.«
»Ist ja alles recht und schön, und ich ahne, worauf du hinauswillst. Aber könntest du dich gefälligst etwas schlüssiger ausdrücken?«
»Okay, ganz schlüssig: Reissner wurde mit Plasma aus einem dieser Beutel behandelt. Und zwar handelt es sich um die Nummer 12.426. Das steht im OP-Bericht. Ich habe mir diesen Weißmann dann natürlich vorgeknöpft. Kannst dir vorstellen, was der für ein Gesicht machte, als ich ihm den Fall präsentierte. Wir haben dann nicht nur das LKA angerufen und die Kollegen in Hessen alarmiert, sondern auch gleich das Landes- und das Bundesgesundheitsamt. Wie ich dabei erfahren habe, ist die Firma mit Ausnahme von ein paar kleinen, nicht besonders schwerwiegenden Geschichten bisher unauffällig geblieben. Sie galt als fein und seriös.«
»Das wird sich ändern«, orakelte Rio.
»Vermute ich auch.« Novotny trank seinen Kaffee aus.
»Dafür sorge ich, Paul«, sagte Rio und erhob sich.
»Warum hast du's denn so eilig? Was willst du jetzt überhaupt tun?«
»Na, mir diesen ›Bio-Plasma‹-Laden vorknöpfen, was sonst?«
»Dort sind jetzt schon die Kollegen und stellen denen die Bude auf den Kopf.«
»Na und?« Rio zuckte nur die Schultern.
Das Wohnzimmerfenster stand weit offen, der Briefkasten war geleert. Rio wollte losrennen, überlegte es sich und entschied sich für den gemächlich-gelassenen Gang.
Aber sein Herz klopfte.
Tatsächlich, auch die Haustür war nicht abgeschlossen, und vom
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