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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Schlag. Nun brach die Stütze los und fiel. Grymonde ließ das Tau los und hieb den Rest mit einem Schlag durch, bedeckte dann sein Gesicht mit den Armen, als das Tau riss und zurückschnellte und der Turm sich zum Hof neigte. Er rannte vor, stieß seine Hände unter die Kante der untersten Wand und ging in die Hocke. Mit einer einzigen gigantischen Anstrengung richtete er sich auf und stürzte seinen Turm vom Dach und in den Hof.
    Das Krachen und das Splittern des Holzes übertönten den allgemeinen Aufruhr.
    Grymonde schaute zu Carla zurück und grinste. Sie konnte in seinen Augen sehen, dass er diesem großartigen Augenblick der triumphalen Zerstörung nicht hatte widerstehen können. Sie winkte ihn zu sich.
    »Grymonde, lass uns gehen.«
    Grymonde rannte wie ein Kind zur Dachkante, um sich das Ergebnis seiner Bemühungen anzuschauen.
    Da kam Papin aus der Dunkelheit gestürzt.
    Er traf Grymonde mit dem Kopf des Vorschlaghammers im Rücken.
    Carla stockte der Atem.
    Grymonde stürzte lautlos vom Dach und war fort.
    Papin starrte über die Kante, noch benommen von seiner Tat.
    Estelle fletschte die Zähne und rannte auf Papin zu.
    Carla unterdrückte einen warnenden Schrei.
    Papin spürte Estelle hinter sich und drehte sich um. Er hob den Vorschlaghammer über den Kopf. Estelle rammte ihm die Mündung der Pistole in den Bauch und feuerte ab. Papin schrie auf, als ihn die Kugel und das Gewicht des Hammers nach hinten warfen. Er stürzte auf den Hof.
    Carla drehte sich um und schaute erneut auf die Wüste aus Dachziegeln, die vor ihr lag.
    Ein feiner Dunst lag über dem Moos.
    Es fehlte ihr nicht an Mut. Es ging nicht um Angst; vor der Angst gab es kein Entrinnen. Und wenn sie auch die Kraft finden würde, so glaubte sie doch nicht, dass ihr Körper noch wendig genug wäre, um sicher über die glitschigen Ziegel zu gehen. Man würde sie bestimmt verfolgen. Sie würde nur langsam vorankommen, und es würde gefährlich werden. Sie machte zwei Schritte und spürte, wie das Moos unter ihren Sohlen rutschte. Sie glaubte nicht, dass es barfuß weniger gefährlich sein würde. Wenn sie mit Amparo auf dem Arm fiele, schlimmer noch, wenn sie sie fallen ließe …
    Sie schluckte, weil ihr übel wurde.
    Hatte der in den Hof gestürzte Turm die Tür blockiert, was wohl Grymondes Absicht gewesen war? Wie lange würde es dauern, bis starke Männer den Holzhaufen weggezerrt hatten? Waren sie schon im Haus? Würden sie sich auf die bemoosten Dachziegel wagen? Und würden sie nicht unten auf den Straßen patrouillieren, um sie zu finden? War das Kloster der Filles-Dieu nicht eine zu offensichtliche Zufluchtsstätte?
    Estelle kam zurück. »Papin war der Judas.«
    »Du warst sehr tapfer. Pack die Pistole in die Tasche.«
    Carla schloss die Augen. Sie wagte nicht zu sagen, was sie dachte.
    Amparo, ihr Engel, der Engel ihrer Tochter sprach hinter ihr.
    » Tu es. Ich gehe mit ihnen .«
    Carla holte tief Luft. Sie musste völlig leidenschaftslos sein. Sie musste so kühl denken und kühn handeln wie Mattias. Wenn man die Pilger dazu angeheuert hatte, eine entführte christliche Edelfrau zu retten, dann konnte Christian sie hier nicht töten. Sie musste es tun.
    Sie zog eine Ecke des Schals über Amparos Gesicht. Sie wagte es nicht, das Kind anzuschauen. Sonst hätte der Mut sie verlassen. Sie küsste Amparos Kopf durch den Stoff.
    »Estelle, kannst du Amparo über die Dächer tragen?«
    »Ja.«
    In Estelles Augen war weder Zweifel noch Tollkühnheit.
    »Du fällst nicht?«
    »Natürlich nicht.«
    »Bringst du sie für mich zum Kloster?«
    »Ja.«
    »Hast du Schwestern?«
    »Nein. Auch keine Brüder.«
    »Ich auch nicht. Aber wir sind jetzt Schwestern.«
    »Ich und Amparo und du?«
    »Ja. Du und ich und Amparo. Und auch Alice. Wir vier Frauen.«
    Estelles Augen füllten sich mit Tränen, und sie begann zu weinen. Carla wischte ihr die Wangen mit dem Saum ihres goldgelben Kleides ab. Sie bemerkte, dass auch sie weinte.
    »Das sind glückliche Tränen«, sagte Estelle.
    »Meine auch. Lass die Tasche hier. Sie ist schwer.«
    »Nein, ich brauche die Tasche. Ich kann sie tragen. Ich bin stark.«
    »Das weiß ich.« Carla begriff, dass sie dieses Streitgespräch nur mit viel Mühe gewinnen würde. Sie gab auf. »Pass gut auf deine Schwester auf. Bring sie zum Kloster. Sag denen nicht, was hier passiert ist. Sag, dass du Amparo auf der Klostertreppe gefunden hast. Verstehst du?«
    Estelle nickte, als wäre sie viel kompliziertere Lügen

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