Die Blutnacht: Roman (German Edition)
vollends.
»Ich könnte mir keinen stärkeren Rücken vorstellen. Bitte nehmt dies als Zeichen meiner Dankbarkeit.«
Carla zog das blaue Seidentuch vom Hals und hielt es ihm hin.
»Mylady«, sagte Garnier, den Tränen nah, »das kann ich nicht annehmen, ich bin nicht von edlem Blut …«
»Edler als viele, die das von sich behaupten. Nehmt es, Herr Hauptmann. Es würde mir Freude machen.«
Garnier nahm das Tuch entgegen, als hätte es die Schultern der Madonna geziert. Er hielt es vor sich, war sich nicht sicher, wie er damit umgehen sollte. Carla nahm das Tuch aus seinen Händen, hielt es an beiden Enden und legte es ihm um die Schulter. Garnier sank auf ein Knie. Carla faltete die Hände fest, falls er versuchen sollte, ihr die Hand zu küssen. Sie spürte, dass Dominic völlig verdattert neben ihr stand, schaute ihn aber nicht an.
»Nun, Hauptmann Garnier, dürft Ihr mich die Treppe hinunter geleiten. Ich werde fahren müssen. In einem Wagen. Die erlittenen Qualen. Ich bin geschwächt.«
»Mylady, ja, wir haben Karren, die Karren der Bettler.«
Carla legte ihm eine Hand auf den Arm, als sie zur Tür ging, und sie war froh darüber. Sie folgte Garnier die Treppe hinunter. An der Tür zum Geburtszimmer blieb sie stehen.
»Ich habe eine Begleiterin, die mitkommen muss, um sich um mich zu kümmern.«
Carla trat ins Geburtszimmer.
Da schnitt ihr der schlimmste Schmerz des Tages durch den Leib, als protestierte ihr Schoß laut. Sie schlang beide Arme um sich. Sie konnte nicht atmen, obwohl ihr das Herz beinahe im Leib zersprang, obwohl ihr Schmerz unermesslich war, beschloss sie, den anderen ihre Trauer nicht zu zeigen. Das hätte Alice so gewollt.
Sie hörte ein raues Hexenlachen gleich hinter sich.
Genau das wollte Alice.
Carla hatte einen neuen Engel neben ihrer Schulter.
Die alte Frau saß auf ihrem Stuhl bei dem Bett, auf dem sie so vielen ihrer Schwestern geholfen hatte, neues Leben auf die Welt zu bringen. Ihr unförmiger Körper schien beinahe friedlich. Sie hatte die Hände auf den Bauch gelegt. Das Kinn war ihr auf die Brust gesunken. Die vollen, violetten Lippen lächelten beinahe, als schlummerte sie nur und träumte von Quitten in Honig und Wein. So hatte sie den Tod begrüßt, mit einer Umarmung.
Eine scharlachrote Schürze verlief von ihrem Kinn bis zum Schoß.
Carla wandte sich um und schaute Garnier an.
Was immer er in ihren Augen sah, ließ ihn zurückweichen.
»Wer hat das getan?«
Ihre Stimme überraschte sie. Garnier runzelte die Stirn. Offensichtlich war er nicht der Schuldige. Er schaute zu Dominic Le Tellier zurück, der genauso offensichtlich der Täter war.
»Diese Frau war meine Mutter.«
Dominic lachte höhnisch. Er hob zu sprechen an. Carla schnitt ihm das Wort ab.
»Du niedriger, widerlicher Abschaum! Für diesen feigen Mord wirst du hängen.«
Dominic versuchte trotzig zu grinsen. Carla sah seine Furcht.
»Glaub mir, du Schurke. Und wenn ich dafür vor der Königin knien und meine unsterbliche Seele verwirken muss.«
»Mylady«, sagte Garnier und übernahm seinen Part mit Bravour. »Möchtet Ihr, dass ich ihre Leiche in eine Kirche bringen lasse? Ich kann sie in Saint-Jacques zur Ruhe betten, wenn Euch das tröstet.«
»Keine Kirche ist es wert, ihre Gebeine zu beherbergen. Lasst sie so sitzen.«
Carla rauschte an ihnen vorbei die Treppe hinunter.
In der Küche blieb sie stehen, wo sie und Alice Hagebuttentee getrunken hatten. Sie sah das Kartenspiel auf dem Tisch. Sie ging hinüber, nahm die Karten und steckte sie in die Tasche ihres Kleides. Sie sah ihre Gambe im Kasten und wies Garnier an, sie zu holen. EinenAugenblick lang hätte sie beinahe darauf bestanden, hierzubleiben, obwohl sie wusste, dass man ihr das nicht gestatten würde. Sie hatte sich hier mehr zu Hause gefühlt, hatte mehr Wissenswertes erfahren, als in all den feinen Häusern, in denen sie je gewohnt hatte. Sie wollte diesen Geist nicht hier zurücklassen. Aber das musste sie auch nicht. Alice war ja bei ihr.
Auf der Schwelle blieb sie stehen, als ein schreckliches Geräusch die Nacht zerriss. Ihr Körper hielt sie instinktiv zurück. Das Geräusch zeugte eher von Wut als von Schmerz, denn Schmerz würde der Schreiende genauso wenig eingestehen wie Prometheus, an dessen Leber der Adler nagte. Die höhnischen Worte einer Frau schallten über den Hof.
»Da hast du deinen Samson, du hässlicher Bastard!«
Der Wutschrei, der die Dunkelheit zerriss, war aus Grymondes Kehle gekommen.
KAPITEL 24
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