Die Blutnacht: Roman (German Edition)
bogen sie nach Norden ab. Wieder krachten die Musketen. Sie schienen dem Geräusch kaum näher gekommen zu sein und waren immer noch auf Stadtstraßen. Tannhäuser kämpfte mit dem Drang, allein auf das Gewehrfeuer loszurennen. Er wusste, wofür die Höfe standen. Er hatte dergleichen Labyrinthe schon in Neapel und Rom kennengelernt. Die Bewohnerbauten dieses Gewirr von Gebäuden zur Verteidigung gegen die Gesetzeshüter. Wenn er dem Krach folgte, kam er vielleicht auf einen Steinwurf nah, würde sich dann aber in Meilen von Sackgassen und verzweigten Wegen verirren. Der Mond würde frühestens in einer Stunde hoch genug am Himmel stehen, um eine Hilfe zu sein.
Er fiel einen Schritt zurück und stieß Joco die Spitze der Partisane in den Rücken. Mit wohldosierten Stichen und auf Kosten immer lauteren Jammerns verdoppelte er so die Geschwindigkeit.
Sie kamen an Reihen verschlossener Ladenfronten und an vier Wachmännern vorbei, die es alle für angebracht hielten, sich um ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern, besonders da der Sergent sich nicht beschwerte. Sie kamen an verschiedenen Gasthäusern und zwei Kreuzungen vorüber. Die Musketen wurden erneut abgefeuert, näher, aber für Tannhäusers Geschmack immer noch zu weit entfernt.
Sieben Gewehre. Wie viele Pilger? Vierzig? Vielleicht sogar doppelt so viele oder mehr. Zu viele, um es mit ihnen aufzunehmen, zumal Carla in Gefahr war. Er hatte sich in gutem Einvernehmen von Garnier verabschiedet. Warum nicht mit den Pilgern gemeinsame Sache machen? Garnier dazu überreden, Carla zum Tempel zu bringen. Das wäre um einiges ruhmreicher als das Hôtel Le Tellier. Dominic würde Einspruch erheben, aber Tannhäuser würde darauf hinweisen, dass der große Hauptmann Garnier nur dem König Rechenschaft schuldete. Hatte wohl Le Tellier von den Milizmännern berichtet, die im Haus des Druckers umgekommen waren? Diese Geschichte würde die Pilger jedoch nicht gerade dazu bringen, Carla zu retten. Marcel hatte allerdings gute Gründe, sie nicht zu erzählen. Wenn er nämlich Tannhäuser für seine eigenen Zwecke haben wollte, konnte er darauf verzichten, dass ihm Garnier in den Weg kam.
»Frogier, welche Befehle habt ihr Sergents bekommen, was mich betrifft?«
»Exzellenz, wir sollen sofort Bericht erstatten, wenn wir Euch sehen, und Euch, wenn möglich, überwachen. Ich hatte geschworen …«
»Ihr sollt mich nicht verhaften?«
»Wofür, Exzellenz?«
»Dass ich neunzehn Milizmänner getötet habe?«
Frogier lachte verschreckt. »Nein, nein, es wurde nicht angedeutet, dass Eure Exzellenz ein Verbrecher ist. Vielmehr, dass man Euch aus gewichtigen Staatsgründen dringend sucht. Was der einzige Grund ist, warum ich geschworen …«
»Was weißt du über diesen Angriff auf die Höfe?«
»Nichts, Exzellenz. Man hat mir befohlen, das Haus zu bewachen, wo Ihr mich gefunden habt.«
»Wo ist also die Rothaarige, Typhaine?«, fragte Tannhäuser.
»Verzeiht – die Schmerzen. Sie hat sich bereit erklärt, Christian nach Cockaigne zu führen.«
Die Straße begann leicht anzusteigen. Joco nutzte diese Entschuldigung, um seine Schritte wieder zu verlangsamen. Tannhäuser piekte die Spitze der Waffe in den dunklen Fleck auf Jocos Hemd. Die Straße wurde noch schmaler. Drei Männer traten wenige Schritte vor Frogier aus einem Gasthaus. Sie blockierten den Weg. Sie wandten sich um und schauten die seltsame Prozession an. Einer lachte. Dann sahen sie Tannhäuser, mit nacktem Oberkörper und mit Waffen behangen. Sie hatten reichlich Wein getrunken, aber Tannhäuser spürte keine Feindseligkeit. Er ließ Frogier erneut die Spitze der Pike fühlen.
»Guten Abend, Jungs. Der Sergent hier zahlt jedem einen Écu d’or, der uns nach Cockaigne führen kann. Will jemand?«
Zwei der Männer schauten den dritten an, der sich den Mund am Handrücken abwischte.
»Hier kennt keiner den Weg.«
»Würdet ihr ins Gasthaus zurückgehen, damit wir vorbeikönnen?«
Tannhäuser wollte sie nicht hinter sich haben. Er stieß Frogier an.
»Der Sergent kauft euch einen Krug Wein. Einen großen.«
Frogier wühlte mit der unverletzten Hand in der Tasche herum. Er zog zwei Münzen heraus und hielt sie hin, und der dritte Mann nahm sie. Die Männer gingen in die Kneipe zurück. Tannhäuser befahl Grégoire, nach hinten Ausschau zu halten, und ging eilig weiter. Sie überquerten eine weitere Straße, und danach wurde der Weg steiler. Sie hielten sich eine Weile östlich, bogen dann wieder nördlichin
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