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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Verdammnis hinein. Wie recht sie hatte! Aber ich will nicht sagen, dass das Urteil hart war, denn ich habe Schlimmeres verdient.« Er grinste Carla an, und seine Zähne schimmerten ihr ins Gesicht. »Ich würde sogar sagen, dass es großmütig war.«
    »Wie könnte es nicht großmütig sein, beim König des Landes, wo Milch und Honig fließen?«
    »Zu spät für den König, zu spät für Milch und Honig, und doch …«
    Grymonde wandte den Kopf hin und her, als vergliche er Bilder vor seinem geistigen Auge. Carla fragte sich, ob sein Wissen über sich selbst parallel zu Alices Wissen über die Welt lief und sie sich daher niemals begegnet waren. Er hatte ihr nie zugehört. Denn das Einzige, worüber er mehr wusste als Alice, war er selbst, und vor diesem Wissen hatte er sie schützen wollen. Grymonde runzelte die Stirn.
    »Es ist nicht der Tod, den ich mir gewünscht hätte. Ich habe noch niemanden umgebracht, und die Aussichten darauf sind ziemlich schlecht.«
    »Du hast Rody umgebracht«, sagte Estelle.
    »Aber du hast zuerst auf ihn geschossen, also kommt er auf meiner Rechnung nicht vor.«
    »Ich habe auch auf den Banditen geschossen, erinnerst du dich? Aber den hat Tannser umgebracht. Bei wem kommt er dann auf die Rechnung?«
    »Tannser würde keinen Anspruch darauf erheben.« Er schniefte. »Aber der kann es sich ja auch leisten.«
    »Oh, aber Papin habe ich ganz allein umgebracht. Und Irène.«
    Pascale schien darüber so schockiert zu sein wie Carla. »Du hast Irène umgebracht?«, fragte Pascale.
    »Wer war Irène?«, erkundigte sich Grymonde.
    »Ins Herz getroffen«, sagte Estelle. »Du kannst Tannser fragen. Er hat ›gut‹ gesagt.«
    »Ich denke, mehr brauchen wir nicht zu erfahren«, sagte Grymonde.
    »Und dann war da auch noch der Kerl unter dem Wagen«, gestand ihr Pascale zu.
    »Natürlich! Petit Christian hatte ich ganz vergessen. Der hatte es wirklich verdient.«
    Pascale sagte: »Die hatten es alle verdient.«
    Carla spürte die Furcht, die Pascale wohl den größten Teil ihres Lebens gelitten hatte, und die Grausamkeit, die nun an ihre Stelle getreten war. Mattias hatte diese Kinder zu Mördern erzogen. Er musste sehr gute Gründe dafür gehabt haben. Orlandu hatte er immervon jeder Gewalttätigkeit ferngehalten. Stundenlang hatte sie nicht mehr an Orlandu gedacht oder überlegt, wo er wohl war. Ehe sie das wieder tun konnte, war Pascale schon verschwunden.
    »Halt, im Namen des Königs!«
    Carla schaute über Grymondes Schulter nach hinten. Zwei Männer mit Schwertern kamen von Westen über den Marktplatz auf sie zu. Einer hielt eine Fackel in der Hand.
    Weder Carla noch Grymonde konnten rennen. Wenn sie es versuchten, würden sie einen Angriff provozieren. Sie musste die Männer dazu überreden, sie und damit sich selbst in Mattias’ Schussrichtung zu bringen.
    »Grymonde, halt. Dreh dich erst um, wenn ich dir ein Zeichen gebe. So.«
    Sie umklammerte seinen Arm mit ihrem Bein. Er nickte.
    »Wenn ich dir das Zeichen noch einmal gebe, lass deiner Wut freien Lauf.«
    »Und … die Nachtigall?«
    »Deine Wut wird sie nicht verletzen.« Sie rief: »Die Herren Offiziere? Kommt schnell her!«
    Die beiden Milizmänner trabten los. Ein guter Anfang. Als sie näher kamen, verlangsamten sie ihre Schritte. Carla erkannte sie nicht, aber sie trugen rot-weiße Armbänder und konnten sehr wohl an dem Angriff auf Cockaigne beteiligt gewesen sein.
    »Ich bin die Comtesse de La Penautier. Bringt mich sofort zu Bernard Garnier.«
    Sie bewegte ihr Knie, und Grymonde drehte sich zu den Männern um. Die blieben wie angewurzelt stehen.
    »Heiliges Kreuz!«
    Schwerter wurden geschwenkt.
    »Das ist er. Das ist der Infant. Oder sein Geist.«
    »Ist das Bettelmädchen auch ein Geist?«
    »Meine Herren, wir haben nicht viel Zeit. Sie mögen Geister sein, aber solange er mich trägt, scheint er gehorsam und freundlich zu sein. Ich fürchte jedoch seine Wut, wenn er gezwungen wird, mich abzusetzen.«
    Carla spannte ihr Bein noch einmal an. Da ließ Grymonde ein Heulen los, das so schrecklich war, dass sie fürchtete, das Herz bliebeihr vor Mitleid stehen. Sie schaute hinunter und sah, dass Amparo die Augen aufschlug. Sie starrten in den sternenübersäten Himmel hinauf, als suchten sie nach der Quelle, als könnte ein so schreckliches und gleichzeitig wunderbares Geräusch nur von diesen unendlich fernen Sternen kommen. Amparo wirkte nicht erschrocken, nur verwundert.
    Die Männer mit den Schwertern zogen sich zurück. Im

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