Die Blutnacht: Roman (German Edition)
Spitze seines Schwerts an Dominics Kehle.
Der antwortete: »Wisst nur, dass ich von Euch mehr Gnade erwarte als von ihm.«
Jemand hatte eine Intrige angezettelt. Aber wer? Und warum? Diese drei hier würde er mit weniger Mühe umbringen können als die ersten drei auf dem Hof. Er bezweifelte, dass irgendjemand, der dabei zusah, auch nur versuchen würde, ihn am Verlassen des Innenhofs zu hindern. Doch dann wäre er auf der Flucht in einer fremden Stadt, und seine einzigen Freunde wären ein Stalljunge und zwei halbwüchsige Mädchen. Konnte er an Arnauld oder Retz appellieren? Beide steckten bis zum Hals in ihren eigenen Intrigen, und ein Mann, der gerade drei Palastwachen ermordet hatte, konnte sich kaum auf ihre Hilfe verlassen.
Und wenn er floh, dann würde er auch Carla zum Flüchtling machen, zumindest würde man sie vernehmen. Was das in Paris bedeutete, stellte er sich lieber nicht vor.
Er bemerkte, dass Petit Christian ihn aus einem Toreingang beobachtete.
Wenn er Dominic umbrachte, würde der verkrachte Dramatiker Alarm schlagen. Die anderen wussten besser als Tannhäuser, wo sich Carla aufhielt. Er konnte kaum vor seinen Gegnern zu ihr gelangen. Er rang mit dem Impuls, doch zu kämpfen. Er hatte sich auch bei früheren Anlässen schon ergeben. Jetzt musste er tun, was er für das Beste für Carla hielt. Wenn die anderen ihn zumindest im Augenblick da hatten, wo sie ihn haben wollten, dann war Carla in Sicherheit. So sicher, wie sie nur sein konnte. Er dachte an Altan Savas, der sie begleitete, und war ein wenig getröstet.
»Wo soll ich eingesperrt werden?«
»Edelmänner werden im Ostflügel gefangen gehalten.«
Das Gefängnis war eine Zimmerflucht, die aus einem Salon, einem Studierzimmer und einem Schlafzimmer bestand. Unzählige Männer von adeliger Herkunft hatten ihren Königen schon Gründe dafür gegeben, sie einzusperren. Manche waren von hier zum Schafott gegangen; andere hatte man freigelassen oder wieder in ihre hohen Ämter eingesetzt. Coligny selbst hatte man bereits einmal zum Tode verurteilt und dann begnadigt. Es war schließlich nicht sinnvoll, einen Feind, der eines Tages ein Verbündeter werden könnte, dadurch zu verbittern, dass man ihn mit dem gemeinen Volk in ein Verlies warf.
Die Dämmerung war hereingebrochen, und Kerzen erhellten das Dunkel. Tannhäuser fand einen Krug mit Wasser und eine Schüssel. Er stillte seinen Durst und wusch sich das Blut von den Händen. Früher oder später würde sich der zu erkennen geben, der ihm dieses Rätsel aufgegeben hatte. Inzwischen würde Tannhäuser nicht zu sehr darüber grübeln. Er war in äußerster Sorge um Carla, aber sie hatte bis jetzt ohne ihn überlebt; zumindest hoffte er das. Im Studierzimmer fand er einen Schreibtisch, auf dem eine Feder, Papier, Siegelwachs und Tinte lagen. Er bezweifelte, dass Guzman lesen konnte. Aber wenn ihm das Schicksal den Brief in die Hände spielte, konnte er ihn sich vorlesen lassen. Tannhäuser schrieb die Nachricht auf Italienisch und Französisch.
Guzman, man hält mich im zweiten Stockwerk des Ostflügels gefangen. Hol mich bitte sofort hier heraus. Dann stehe ich in Deiner Schuld. Dein Bruder von der Bastion von Castel St. Angel – Tannhäuser.
Er versiegelte den Brief mit Wachs. Auf die Vorderseite schrieb er: Albert de Gondi, Comte de Retz . Wenige würden es wagen, das Siegel zu erbrechen, und wenn Retz die Nachricht las, umso besser.
Carlas Bild stand ihm vor Augen. Er hätte in einer solchen Zeit die Reise nach Nordafrika nicht unternehmen sollen. Aber sollte die Welt zum Stillstand kommen, nur wegen eines Säuglings? Was hatte Petit Christian ihm über Carlas Unterkunft gesagt? Er konnte sich nicht daran erinnern. Er wandte sich um und wollte Grégoire fragen; aber der Junge war nicht dabei gewesen. Galgen. Eine Kirche. Bienen. Symonne, Witwe eines hugenottischen Eiferers.
»Grégoire, wo sind die Galgen?«
»An der Place de Grève, Sire.«
Die Place de Grève. Dann nördlich in die Rue du Temple. Es fiel ihm wieder ein. Ein schönes Haus mit einer doppelten Fassade. Drei Bienen über der Tür. Auf der westlichen Straßenseite. Symonne d’Aubray. Er schrieb es auf. Dann legte er erleichtert die Feder zur Seite.
»Grégoire, ich habe eine Aufgabe für dich, die eines Herkules’ würdig wäre.«
»Herkules?«
»Ein Held mit Riesenkräften und großem Mut.«
»Ich bin nicht sehr stark«, sagte Grégoire.
»Auf den Mut kommt es an. Bist du bereit?«
»Ja.«
Der Junge
Weitere Kostenlose Bücher