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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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hatte die Schuhe wieder angezogen. Tannhäuser stopfte ihm das Hemd in die Hose und schüttete das Schmutzwasser weg. Er wischte ihm mit einem nassen Halstuch über Gesicht und Hände und glättete ihm das Haar. Als Page des Duc d’Anjou würde der Junge wohl nicht durchgehen, aber er sah zumindest nicht aus wie ein Bettler, der gerade von der Straße hereingekommen war.
    »Erinnerst du dich an Guzman, den Spanier?«
    Grégoire nickte.
    »Such ihn und gib ihm diesen Brief. Und dann führe Guzman hierher, damit er mich befreien kann.«
    Tannhäuser hielt Grégoire den Brief hin.
    Der Junge nahm ihn entgegen, als wäre er ein Splitter vom Kreuz Christi.
    »Du musst durch diese Räume gehen, als würdest du das jeden Tag machen. Halte den Brief vor dich – so. Wunderbar. Wenn dich jemand anhält, zeige ihnen den Namen vorne auf dem Brief. Retz ist sehr wichtig, und wenn wir Glück haben, lassen sie dich in Ruhe. Wenn dir jemand Fragen stellt, sprichst du ein Ave .«
    »Ein Ave Maria ?«
    »Genau. Rufe es, so laut du kannst, und mit großer Leidenschaft. Niemand wird ein Wort verstehen. Erinnerst du dich noch an das erste großartige Gebäude, das wir betreten haben?«
    »Wo die Männer Hunde in Käfigen um den Hals trugen?«
    »Ja, dort findest du Retz höchstwahrscheinlich – im Obergeschoss, im Gespräch mit dem König – und dort findest du auch Guzman, wenn überhaupt.«
    »Ich werde ihn finden.«
    »Wenn nicht, dann denke nicht, dass du mich enttäuschst.«
    »Ich werde Euch nicht enttäuschen.«
    Tannhäuser rief die Wache herbei, indem er an einer Kette an der schweren Tür zog, die eine Glocke zum Klingen brachte.
    »Mein Page hat eine dringende Nachricht für Albert de Gondi, den Comte de Retz.«
    Der Wachsoldat schaute Grégoire mit einem Stirnrunzeln an. Der hielt den Brief, als wäre es ein Talisman.
    »Ich war heute Nachmittag mit Retz zusammen«, sagte Tannhäuser. »Er ist sehr gereizt. Nennt mir Euren Namen.«
    »Ich geleite Euren Pagen sofort dorthin«, sagte der Wachsoldat.
    Tannhäuser warf ihm einen Silberfranken hin. Er forderte Grégoire mit einer Kopfbewegung auf, sich dem Gardesoldaten anzuschließen.
    »Viel Glück, mein Junge.«
    Grégoire verbeugte sich. Die Tür fiel zu. Der Schlüssel knirschte im Schloss.
    Es war dunkel im Schlafzimmer. Im Kerzenschein konnte Tannhäuser vom Salon aus ein Bett ausmachen. Seine Erschöpfung war so groß, dass er sich beinahe freute, im Gefängnis zu sein. Er legte die Waffen ab, zog Stiefel und Hemd aus und tat, was ihm die Vernunft gebot. Er legte sich aufs Bett, vergaß seine Sorgen und schlief ein.

KAPITEL 4

D IE D AME AUS DEM S ÜDEN
    Carla wachte zum dritten Mal in der Nacht auf und wollte den Nachttopf benutzen. Sie seufzte. Das Mondlicht war so hell, dass es Dämmerung hätte sein können. Ihr Rücken schmerzte, ihre Rippen ebenfalls, aber der Schmerz, der ihr manchmal bis ins Bein ausgestrahlt hatte, war verschwunden. Sie legte die Hand auf ihren Bauch, in dem ihr Kind schlief. Sie wollte es nicht wieder aufwecken.
    Sie war sich sicher, dass sie einen Sohn unter dem Herzen trug. Seine Tritte und Schläge – seine Ungeduld, endlich auf die Welt zu kommen – schienen ihr zu maskulin zu sein. Sie dachte an Mattias, wie hundert Male am Tag, und lächelte. Junge oder Mädchen, das Kind hatte sein Temperament geerbt. Sie konnte spüren, wie Vater und Kind durch sie miteinander verbunden waren. Dieses Gefühl machte sie glücklich, wenn sie traurig war. Es machte seine Abwesenheit erträglich. Es hielt Mattias in ihrem Herzen lebendig bis zu dem Tag, an dem sie sich erneut in ihn verlieben würde.
    Sie warf das Laken zur Seite und schwang ihre Beine über die Bettkante. Sie drückte sich hoch. Sie war stolz darauf, eine ungewöhnlich vitale Frau zu sein, aber das Gewicht des Kindes war ihr in letzter Zeit ungeheuer erschienen, so ungeheuer wie ihr geschwollener Bauch. Sie hörte nie auf, sich über die Verwandlung ihres Körpers zu wundern. Sie zog ihr Nachthemd hoch und stopfte es unter ihren Brüsten fest, die auch viel größer geworden waren. Ihrer Zählung nach war sie in der achtunddreißigsten Woche. Sie stützte sichab und hockte sich neben das Bett. Dies war eine der wenigen Positionen, die sie noch als bequem empfand. Sie zog den Nachttopf hervor und erleichterte sich. Es war nicht viel Urin. In einer Stunde würde sie wahrscheinlich wieder aufwachen. Manche Frauen, das hatte man ihr versichert, genossen die Schwangerschaft, Carla jedoch

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