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Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Die Blutnacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Blutnacht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Willocks
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Schlafzimmer und die Feuerstelle in der Küche. Carla fragte sich, wie viel wohl eine so kleine Diebin hätte stehlen wollen. Dann begriff sie.
    »Man hat dich den Kamin hinunter geschickt, damit du deinen Freunden die Tür öffnen kannst.«
    »Die Hintertür.«
    »Ist Gobbo der große Mann?«
    »Nein, das ist Grymonde, der Infant von Cockaigne.«
    Sie sprach diesen erdichteten Titel mit einer so wilden Feierlichkeit aus, als erwartete sie, dass Carla vor Ehrfurcht zittern würde. Als diese Reaktion ausblieb, fletschte das Mädchen die Zähne, verbog ihre Finger zu Klauen und knurrte. Carla musste unwillkürlich lachen. Die Kleine hatte etwas von einem Kobold, ein koboldhaftes Temperament, das Carla beinahe gegen ihren Willen bezauberte. Die Bosheit in den Drohungen des Mädchens spiegelte die Welt wider, in der es lebte.
    »Lacht mich nicht aus. Ihr lacht nicht mehr, wenn Grymonde kommt.«
    »Ich wollte nicht unfreundlich sein. Wenn du in den Spiegel schaust, wirst du wohl auch lachen.«
    »Ihr habt einen Spiegel?«
    »Du kannst ihn benutzen, wenn du mir deinen Namen nennst. Ich heiße Carla.«
    »Estelle.«
    »Ich mag diesen Namen sehr, er ist einer der hübschesten, die es gibt.«
    »Grymonde nennt mich La Rossa. Weil er mein Haar liebt.«
    »Ich bin sicher, es ist wunderschön, wenn es sauber ist. Warum bleibst du nicht bei mir, Estelle? Ich kann dir helfen, dein Haar zuwaschen und saubere Kleider zu finden. Dann können wir frühstücken, wenn du Hunger hast.«
    Estelle dachte mit einer Mischung aus Unschuld und List darüber nach. Die Angst siegte über den Hunger. Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss gehen. Versucht nicht, mich aufzuhalten.«
    Es klopfte laut an der Tür. Eine Stimme mit einem starken Akzent fragte: »Madame?«
    »Komm herein, Altan.«
    Estelle sah sich in Panik um. Ihre Augen wanderten wieder zum Kamin.
    »Nein. Hab keine Angst«, sagte Carla. »Ich sorge dafür, dass dir nichts zustößt.«
    Die Tür ging auf. Altan Savas erblickte Estelle, als er sich vor Carla verneigte. Sein Schwert steckte in der Scheide, aber er hielt den Dolch gezogen. Estelle stürzte zum Kamin. Altan steckte den Dolch weg, während er sich in großen Schritten durch den Raum bewegte.
    »Verzeihung, Madame.«
    »Tu ihr nicht weh.«
    Estelle krabbelte bereits wieder den Kamin hinauf, als Altan sie bei der Taille packte und wieder herunterzerrte. Sie wehrte sich. Altan schlug ihr ins Gesicht. Estelle verdrehte die Augen.
    »Altan, nein!«
    Altan hielt dem Mädchen mit einer Hand die Handgelenke auf dem Rücken zusammen. Er hatte einen dichten schwarzen Schnurrbart im Stil der Janitscharen, den er mit Finger und Daumen glatt strich.
    »Ich finde Mann.« Er suchte vergeblich nach weiteren Worten. Er zeigte zum Dach und bewegte dann zwei Finger in der Luft, um anzuzeigen, dass jemand hinauf- und dann wieder heruntergeklettert war. Dann klatschte er die flache Hand auf den Boden.
    »Gobbo ist gefallen?«
    Mit den gleichen zwei Fingern deutete Altan das Ziehen und Loslassen einer Bogensehne an.
    »Ist gefallen, ja.« Altan riss an Estelles Armen. Er warf ihr einen Blick zu, der ihr sagte, er würde sie töten, wenn er es für notwendig hielt. Estelle verstand solche Blicke. Sie wehrte sich nicht mehr.
    »Lebt er noch?«
    »Er spricht. Jetzt ist er tot. Mehr Männer sollen kommen.«
    »Wie viele mehr?«
    Altan zögerte. »Sag mir.«
    Altan spreizte seine freie Hand. Seine Handfläche war blutverschmiert. Am Daumen trug er einen Elfenbeinring. Fünf. Carla wurde übel, als er die Hand ein zweites und dann ein drittes Mal zusammenballte und wieder spreizte.
    »Fünfzehn?« Carla fragte sich, woher er das wusste, fragte aber nicht nach. »Stimmt das?«
    Altan zuckte die Achseln. »Ich frage fünfmal.« Er deutete an, dass er mit einem Messer geschnitten hatte. »Ich sage: Mehr? Weniger? Er sagt: Fünfzehn. Immer.«
    Carla schaute zu Estelle. Das Mädchen hatte mitverfolgt, was er angedeutet hatte. Sie senkte die Augen. Carla nahm das als Bestätigung. Sie wandte sich wieder Altan zu.
    »Wo ist Madame d’Aubray?«
    Altan legte den Handrücken an die Wange, schloss die Augen und neigte den Kopf leicht.
    »Wir müssen ihnen geben, was sie wollen«, sagte Carla. »Wir werden all unsere Wertgegenstände zusammentragen und vor dem Haus auf die Straße bringen.«
    Estelle sagte: »Ihr seid die Dame aus dem Süden.«
    Carla lief ein Schauer über den Rücken. »Was meinst du damit?«
    »Grymonde will Euch. Die Dame aus dem Süden. Er

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