Die Blutnacht: Roman (German Edition)
betrübt mich, dass ihr mir so etwas zutraut.«
»Es tut uns sehr leid, Meister.«
Er überlegte, ob sein totes und ungeborenes Kind eine Tochter oder ein Sohn gewesen war. Er hatte es Carla zwar nicht gesagt, aber er hatte auf eine Tochter gehofft. Eine Tochter brauchte keine Unterweisung in der Kriegskunst oder darin, wie man mit dem Schmerz umging, ein Mann zu sein.
»Meister, warum haben sie die Hunde verbrannt?«, fragte Juste.
» Vom Fresser kommt Speise, vom Starken kommt Süßes .«
»Samsons Rätsel«, rief Juste. »Er hat dreihundert Füchsen die Schweife angezündet und so die Ernte der Philister verbrannt. Undaus Rache haben die Philister Simsons Frau verbrannt …« Er hielt inne. »Tut mir leid.«
»Und Samson schlug sie hart, an Schultern und an Lenden«, sagte Tannhäuser.
Einen Augenblick war er in Gedanken verloren, und doch war sein Kopf wie leergefegt.
Die Jungen traten von einem Fuß auf den anderen, immer noch ungewiss über das Schicksal ihres Hundes.
»Bedeckt Carla mit ihrem Leichentuch. Macht schon. Und gebt dem Köter Wasser.«
»Juste?«, meinte Grégoire. »Ich habe Clementine benannt, also solltest du den Hund übernehmen.«
Sie machten sich auf in die Gasse, sofort ins Gespräch vertieft.
Tannhäuser schaute ihnen nach.
Die Straße lag noch im Schatten, aber es wurde schon heißer. Er wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Er spürte, dass ihm wieder Tränen den Hals zuschnürten, doch er wusste nicht, welches Gefühl sie ausgelöst hatte, denn zu viele wetteiferten um die Ehre. Er zog die Klinge erneut über den Schleifstein. Er polierte die Schneide mit einem Schlamm aus Wein, Schleifstaub und Metall. Er machte die Spitze ein wenig stumpfer, damit sie sich nicht zu tief in Knochen bohrte. Dann steckte er den Dolch in das Futteral an seiner rechten Hüfte. Er zückte seinen eigenen Dolch, den er an der linken Hüfte trug.
In ihm war eine Leere, die nur mit Blut gefüllt werden konnte. Nicht mit Wissen, nicht mit Trauer, nicht mit Gott, nicht mit Liebe. Denn sein Blutdurst war seine Wahrheit und der Beweis für sein Versagen als Mensch. Er hatte ein Leben damit verbracht, nichts zu lernen. Wieder musste er zum Verbündeten des Todes werden. Er würde die Rätsel lösen. Er würde bis zum Boden der tiefen Grube hinabsteigen. Und doch wusste er, dass in ganz Paris nicht genug Blut war, um die Leere zu füllen. Und trotzdem würde er es vergießen. Früher oder später würde es sein eigenes Blut sein. Dann würde er vielleicht zur Ruhe kommen.
Er leerte den Weinbecher.
Er saß neben dem toten Hund in der Gosse und schärfte seine Waffen. Er bemerkte, dass die Glocken nicht mehr läuteten.
TEIL III
FALSCHE SCHATTEN
WIRKLICHER DINGE
KAPITEL 11
C OCKAIGNE
Auf einem zweirädrigen Karren und auf einer blutbefleckten Matratze fuhren Carla und ihr ungeborenes Kind nach Westen mitten in die Ville von Paris hinein.
Zu den Höfen.
Und zum Königreich Cockaigne.
Die schmale Straße war völlig verlassen, bis auf ihren Beutezug, fünf Karren insgesamt, Carlas Karren allen voran. Grymonde führte den Zug an. Die Hunde trollten sich um sie, hatten die unwürdige Behandlung bereits vergessen und hofften auf eine Belohnung. Papin und Bigot, die bulligsten Schurken, zogen Carlas Karren und schnitten Grimassen unter den Schweißströmen, die ihnen über das Gesicht rannen. Sie hatten die Anweisung, nicht mit ihr zu sprechen, und keiner wagte, auch nur in ihre Richtung zu schauen. Antoinette lag zusammengekauert zu Carlas Füßen und klammerte sich stumm an ihre Röcke. Carla war dankbar für ihr Schweigen, sie hatte dem Mädchen nichts zu bieten, außer der Möglichkeit zu überleben. Alles andere, was sie hatte und war, brauchte sie für ihr eigenes Kind.
Carla hätte sich nicht entblößter fühlen können, wenn sie splitternackt gewesen wäre. Ihre Schenkel waren nass und glitschig. Das Fruchtwasser hatte dunkle Flecken auf dem hellgelben Leinen ihres Kleides hinterlassen. Sie hatte starke Rückenschmerzen und drückte sich die Hände ins Kreuz, ohne dadurch Linderung zu verspüren. Grymonde hatte ihr Gepäck und die Instrumentenkästen vorn aufden Wagen geladen, dazu noch Altans Bogen und Köcher. Die Matratze war auf dem Boden des Karrens doppelt gelegt, und ein Berg von Kissen lag darüber, aber trotzdem konnte Carla keine bequeme Lage finden.
An einer breiteren Straßenkreuzung hob Grymonde die Hand, und die Karawane blieb stehen. Er verschwand für
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