Die Börse (German Edition)
du mit mir?« sagte er. Dann warf er auf Schinner einen anzüglichen Blick voll Schlauheit und Listigkeit, einen Diplomatenblick, der die ängstliche Vorsicht und höfliche Neugier wohlerzogener Leute verriet, die beim Anblick eines Unbekannten zu fragen scheinen:
»Gehört er in unsern Kreis?«
»Sie sehen hier unsern Nachbarn,« sagte die alte Dame und wies auf Hippolyte, »der Herr ist ein berühmter Maler, dessen Name Ihnen bekannt sein muß, wie wenig Sie sich auch um die Künste kümmern.«
Der Edelmann merkte die boshafte Anspielung seiner alten Freundin, die absichtlich keinen Namen genannt hatte, und verbeugte sich vor dem jungen Manne.
»Ich habe sicherlich von seinen Bildern auf der letzten Ausstellung viel reden hören«, sagte er. »Das Talent genießt große Vorrechte«, fügte er hinzu, während er auf das rote Band des Künstlers blickte. »Diese Auszeichnung, die wir uns mit unserm Blut und nach langem Dienst verdienen mußten, Sie erhalten sie schon als junger Mann; aber alle solche Auszeichnungen muß man als gleichberechtigt ansehen«, schloß er, indem er die Hand an sein Sankt Ludwigskreuz legte.
Hippolyte stammelte einige Worte des Dankes und verfiel wieder in Schweigen, indem er sich damit begnügte, mit wachsender Begeisterung den schönen Kopf des jungen Mädchens, das ihn entzückte, zu betrachten. In diese Betrachtung versank er bald so sehr, daß er die elende Behausung ganz vergaß. Adelaides Antlitz hob sich für ihn wie vor einem Hintergrunde voller Glanz ab. Er antwortete nur kurz auf an ihn gestellte Fragen, die er glücklicherweise verstand, dank der merkwürdigen Elastizität unseres Geistes, dessen Aufnahmefähigkeit sich zuweilen gewissermaßen zu verdoppeln vermag. Wem ist es nicht schon passiert, daß er, in Nachdenken über Freudiges oder Trauriges versunken, auf die Stimme seines Inneren gehört und sich dabei doch an einer Unterhaltung beteiligt oder eine Lektüre fortgesetzt hat? Ein wunderbarer Dualismus, der uns oft hilft, die Gesellschaft langweiliger Leute geduldig zu ertragen! Verheißungsvoll lächelnd trug ihm die Hoffnung tausend Gedanken glückversprechender Erwartungen zu, und er mochte auf nichts anderes, was ihn umgab, mehr achten. Und wie einem vertrauensvollen Kinde schien es ihm verächtlich, über sein Glücksgefühl nachzudenken. Nachdem eine gewisse Zeit so vergangen war, bemerkte er, daß die alte Dame und ihre Tochter mit dem alten Edelmanne Karten spielten. Sein Trabant, seiner Rolle als Schatten getreu, hielt sich aufrecht hinter seinem Freunde, dessen Spiel er verfolgte, und antwortete auf die stummen Fragen, die der Spieler an ihn richtete, nur mit leichten zustimmenden Grimassen, die die fragenden Bewegungen des andern Gesichts nachmachten.
»Du Halga, ich verliere immer«, sagte der Edelmann.
»Sie legen schlecht heraus«, erwiderte die Baronin von Rouville.
»Seit drei Monaten habe ich keine einzige Partie gewinnen können«, begann er wieder.
»Haben Sie Asse, Herr Graf?« fragte die alte Dame.
»Ja, ich habe sie schon angesagt«, erwiderte er.
»Wollen Sie, daß ich Ihnen helfe?« sagte Adelaide.
»Nein, nein, bleib nur mir gegenüber. Heiliges Kreuz! Das wäre ein zu großer Verlust, wenn ich auch noch dich nicht vor mir sehen sollte.« Endlich war die Partie zu Ende. Der Edelmann zog seine Börse, warf zwei Louisdor auf den, Tisch und sagte ein wenig ärgerlich »Vierzig Franken, vollwichtiges Gold. Aber, Donnerwetter, es ist ja elf Uhr.«
»Es ist elf Uhr«, wiederholte die stumme Person und sah den Maler an.
Da dem jungen Mann diese Worte etwas deutlicher ins Ohr klangen, als die sonst gesprochenen, so merkte er, daß es Zeit war, sich zurückzuziehen. Indem er so wieder in die Welt des Alltäglichen sich zurückfand, äußerte er einige Gemeinplätze, empfahl sich bei der Baronin, ihrer Tochter und den beiden Unbekannten und entfernte sich, ganz durchdrungen von dem ersten Glücksgefühl echter Liebe und ohne den kleinen Vorfällen dieses Abends weiter nachzusinnen.
Am andern Morgen empfand der junge Maler das heißeste Verlangen, Adelaide wiederzusehen. Wäre er seiner Sehnsucht gefolgt, so hätte er seine Nachbarinnen schon um sechs Uhr früh, als er in seinem Atelier anlangte, aufgesucht. Er hörte aber doch noch soweit auf seine Vernunft, daß er damit bis zum Nachmittag wartete. Sobald er aber meinte, bei Frau von Rouville vorsprechen zu dürfen, ging er hinunter und klingelte, nicht ohne starkes Herzklopfen; und
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