Die Börse (German Edition)
ihm meistens nach und litt, schüchtern und hingebend, wie sie war, unter dem gemachten Schmollen, das auch der ungeschickteste Liebhaber und das naivste junge Mädchen zu gebrauchen verstehen, und dessen sie sich fortdauernd bedienen, wie verwöhnte Kinder die Vorrechte, die ihnen die mütterliche Liebe zugesteht, mißbrauchen. So hatten auch alle Vertraulichkeiten zwischen dem alten Grafen und Adelaide aufgehört. Das junge Mädchen verstand die trübe Stimmung des Malers und die Gedanken, die sich hinter den Falten seiner Stirn und hinter dem scharfen Ton der wenigen Worte, die er sprach, verbargen, sobald der alte Herr Adelaide die Hand oder den Hals küßte. Ihrerseits verlangte Fräulein Leseigneur bald genaue Rechenschaft über alles, was er tat: sie war sehr unglücklich und besorgt, wenn Hippolyte nicht erschien; sie verstand es so gut, ihm wegen seiner Abwesenheit Vorwürfe zu machen, daß der Maler bald darauf verzichten mußte, seine Freunde zu sehen und Gesellschaften zu besuchen. Adelaide ließ sich die den Frauen angeborene Eifersucht deutlich anmerken, wenn sie hörte, daß der Maler manchmal, wenn er Frau von Rouville verlassen hatte, noch um elf Uhr Besuche machte und in den glänzendsten Salons von Paris erschien. Nach ihrer Meinung war solch eine Lebensweise ungesund; und mit der tiefen inneren Überzeugung, der der Ton, die Geste und der Blick einer geliebten Person so viel Kraft verleiht, behauptete sie, daß ein Mann, der gleichzeitig mehreren Frauen seine Zeit und den Reichtum seines Geistes opfern müsse, nie der Gegenstand einer wahrhaft warmen Zuneigung sein könne. Und so wurde der Maler ebensosehr durch den despotischen Zwang seiner Leidenschaft wie durch das Verlangen eines liebenden jungen Mädchens dahin gebracht, sein Leben nur noch in der kleinen Wohnung zu verbringen, wo ihm alles gefiel. Nie war eine Liebe reiner und heißer. Und auf beiden Seiten ließ das gleiche Vertrauen, das gleiche zarte Empfinden die Leidenschaft noch größer werden, ohne daß Opfer gebracht zu werden brauchten, durch die viele glauben, dem andern ihre Liebe beweisen zu müssen. Der ständige Austausch ihrer zärtlichen Empfindungen war so gleichmäßig, daß sie nicht wußten, wer von beiden mehr gab und wer mehr empfing. Ungewollt wurden sie zu einander so hingezogen, daß ihre Seelen sich immer enger zusammenschlossen, und das Fortschreiten hierin war so schnell vor sich gegangen, daß zwei Monate nach dem Unfall, dem der Maler die Bekanntschaft mit Adelaide zu verdanken hatte, ihrer beider Leben eins geworden war. Wenn das junge Mädchen frühmorgens seinen Schritt hörte, konnte sie sich sagen: »Er ist da!« Wenn Hippolyte zur Essensstunde sich zu seiner Mutter begab, verfehlte er niemals, seine Nachbarinnen zu begrüßen; und am Abend eilte er zur gewohnten Stunde mit der Pünktlichkeit des Liebenden herbei. Auch die in der Liebe tyrannischste und anspruchsvollste Frau hätte dem jungen Maler nicht den leisesten Vorwurf machen können. Adelaide empfand daher ein ungetrübtes grenzenloses Glück und sah das Ideal, von dem man in ihrem Alter zu träumen pflegt, uneingeschränkt verwirklicht. Der alte Edelmann ließ sich jetzt seltener sehen, und der eifersüchtige Hippolyte war an seine Stelle am Spieltische getreten, auch darin, daß er beständig Unglück im Spiel hatte. Dabei quälte ihn, mitten in seinem Glück, im Hinblick auf die traurige Lage der Frau von Rouville, von der er mehr als einen Beweis erfahren hatte, ein lästiger Gedanke. Mehrmals schon hatte er sich, wenn er nach Hause ging, gefragt: »Wie ist das möglich? An jedem Abend zwanzig Franken!« Aber er wagte es nicht, einem häßlichen Verdacht nachzuhängen. Zwei Monate verwandte er auf die Fertigstellung des Porträts, und als es vollendet, gefirnißt und gerahmt war, da hielt er es für eins seiner besten Werke. Die Baronin von Rouville hatte niemals wieder mit ihm davon gesprochen. War das Gleichgültigkeit oder Stolz? Der Maler wollte sich über dieses Schweigen keine Gedanken machen. Er hatte mit Adelaide freudig ein Komplott geschlossen, daß sie das Porträt während der Abwesenheit der Frau von Rouville aufhängen wollten. Eines Tages, als die Mutter ihren gewöhnlichen Spaziergang im Tuileriengarten machte, begab sich daher Adelaide zum erstenmal allein in Hippolytes Atelier hinauf, unter dem Vorwande, das Porträt in dem günstigen Lichte, bei dem es gemalt worden war, sehen zu wollen. Stumm und unbeweglich blieb sie davor
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