Die Börse (German Edition)
denn?« fragte der junge Mann Adelaide.
»Ach, nichts«, antwortete die Baronin. »Adelaide ist mehrere Nächte aufgeblieben, um eine wirkliche Arbeit fertig zu machen, und hat nicht auf mich hören wollen, wenn ich ihr sagte, daß es dabei auf einen Tag mehr oder weniger nicht ankäme ...«
Hippolyte hörte nicht, was sie sagte. Wenn er diese beiden vornehmen, ruhigen Gesichter ansah, dann schämte er sich seines Verdachtes und schrieb den Verlust der Börse irgendeinem unbekannten Zufall zu. Es wurde für ihn und vielleicht auch für sie ein köstlicher Abend. Es gibt Geheimnisse, die junge Seelen so gut zu durchschauen vermögen. Adelaide ahnte Hippolytes Gedanken. Ohne sein Unrecht eingestehen zu wollen, erkannte der Maler es doch an und wandte sich seiner Geliebten wieder mit heißerer, leidenschaftlicherer Liebe zu, indem er dadurch stillschweigende Verzeihung zu erlangen versuchte. Und Adelaide genoß nie ein so vollkommenes, so süßes Glück, daß es ihr mit dem Kummer, der sie so grausam gepeinigt hatte, nicht zu teuer bezahlt erschien. Aber die vollkommene Übereinstimmung ihrer Seelen, dieser geheimnisvolle Einklang, wurde durch ein Wort der Baronin von Rouville wieder erschüttert.
»Wollen wir nicht unsere kleine Partie machen?« sagte sie, »mein alter Kergarouet läßt mich im Stiche.«
Dieser Satz ließ alle Befürchtungen des jungen Malers wieder wach werden, der errötete und Adelaides Mutter scharf ansah; aber er konnte auf ihrem Gesicht nur den Ausdruck des Wohlwollens ohne jede Falschheit erkennen: kein Hintergedanke störte den harmonischen Reiz, und die Klugheit hatte nichts von Listigkeit; das Spöttische war harmlos, und keine Gewissensbisse trübten die Ruhe der Züge. Er setzte sich nun an den Spieltisch. Adelaide wollte sich an seinem Spiel beteiligen, indem sie behauptete, er verstände das Pikettspiel noch nicht und brauche die Hilfe eines Partners. Während des Spiels machten sich Frau von Rouville und ihre Tochter Zeichen des Einverständnisses, die Hippolyte um so mehr beunruhigten, als er gewann; aber zum Schluß machte ein letzter Umschwung die beiden Liebenden zu Schuldnern der Baronin. Als der Maler nach Geld in seiner Tasche suchen wollte und die Hände vom Tische nahm, sah er plötzlich vor sich eine Börse liegen, die Adelaide, ohne daß er es gemerkt, hingeschoben hatte; in der Hand hielt das arme Kind die alte Börse und tat, als ob sie darin nach Geld suche, um ihre Mutter zu bezahlen. Alles Blut strömte Hippolyte so gewaltsam zum Herzen, daß er beinahe die Besinnung verloren hätte. Die neue Börse, die die alte ersetzen sollte, und in der die fünfzehn Louisdors lagen, war aus Goldperlen hergestellt. Die Ringe, die Quasten, alles zeugte von dem guten Geschmack Adelaides, die sicher ihren Sparschatz für die Ausschmückung dieser reizenden Arbeit erschöpft hatte. Man konnte unmöglich mit mehr Zartheit ausdrücken, daß das Geschenk des Malers nur durch eine solche Bezeugung liebevollen Empfindens erwidert werden dürfte. Als Hippolyte, überwältigt von seinem Glücksgefühl, seine Augen auf Adelaide und die Baronin richtete, sah er sie vor Freude und entzückt darüber, daß ihre freundschaftliche List gelungen war, erzittern. Er kam sich kleinlich, niedrig, nichtig vor; er hätte sich zur Strafe das Herz zerreißen mögen. Tränen traten ihm in die Augen, von unwiderstehlichem Drange getrieben erhob er sich, umarmte Adelaide, preßte sie an sein Herz und raubte ihr einen Kuß; dann rief er mit dem Freimut des Künstlers, indem er die Baronin ansah, aus: »Ich erbitte mir ihre Hand von Ihnen.«
Adelaide warf dem Maler einen etwas erzürnten Blick zu, und Frau von Rouville suchte etwas erstaunt nach einer Antwort, als diese Szene durch den Ton der Klingel unterbrochen wurde. Der alte Vizeadmiral erschien, gefolgt von seinem Schatten und von Frau Schinner. Da sie die Ursache des Kummers, den ihr Sohn vergeblich vor ihr zu verbergen suchte, ahnte, hatte Hippolytes Mutter bei mehreren Freunden Erkundigungen über Adelaide eingezogen. Weil sie nun durch die Verläumdungen, die über das junge Mädchen ohne Wissen des Grafen von Kergarouet, dessen Namen sie von der Portierfrau erfahren hatte, ausgesprengt waren, in Unruhe versetzt worden war, hatte sie den Vizeadmiral aufgesucht und ihm alles mitgeteilt; in seinem Zorn hatte dieser ausgerufen, er wolle hingehen »und diesem Bettelvolk die Ohren abschneiden«. In seinem Ärger teilte der Admiral Frau Schinner das
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