Die Börse (German Edition)
Leseigneur umhüllte sich damit sehr kunstvoll und mit der Geschicklichkeit einer alten Frau, die an die Wahrheit ihrer Worte glauben machen will. Dann eilte das junge Mädchen in das Kapernaum und kehrte mit einer Handvoll kleingemachten Holzes zurück, das sie ungesäumt ins Feuer warf, um es wieder anzufachen.
Es wäre ziemlich schwierig, die Unterhaltung, die sich zwischen den drei Personen entspann, wiederzugeben. Mit dem Takt, der alle die kennzeichnet, die von ihrer Kindheit an das Elend durchgemacht haben, wagte Hippolyte nicht, sich irgendeine Bemerkung über die Lage seiner Nachbarinnen zu erlauben, wenn er auch rings um sich die Anzeichen schlecht verhehlter Not sehen mußte. Auch die harmloseste darauf bezügliche Frage wäre indiskret und erst einer lang erprobten Freundschaft gestattet gewesen. Trotzdem war der Maler tief ergriffen von dieser verschämten Armut und sein großmütiges Empfinden litt darunter; da er aber wußte, daß jede, selbst die liebevollste Spur von Mitleid als etwas Beleidigendes empfunden werden konnte, so fühlte er sich infolge des Mißverhältnisses zwischen seinen Gedanken und seinen Worten unbehaglich. Die beiden Damen sprachen zuerst über Malerei, denn die Frauen kennen recht gut die heimliche Verlegenheit, die bei einem ersten Besuche verspürt wird; sie fühlen sie vielleicht selber, aber ihre Natur besitzt tausend Hilfsquellen, um sie verschwinden zu lassen. Indem sie den jungen Mann über die Technik seiner Kunst und über seine Studien befragten, verstanden es Adelaide und ihre Mutter, ihn zum Plaudern zu bringen. Unmerkliche kleine Wendungen ihrer von Liebenswürdigkeit belebten Unterhaltung brachten Hippolyte von selbst zu Bemerkungen und Darlegungen, die ein Bild seiner Lebensweise und seines Denkens gaben. Kummer hatte das Antlitz der alten Dame, das früher schön gewesen sein mußte, frühzeitig welk gemacht; jetzt hatte es nur noch scharfe Züge und Umrisse, es war, kurz gesagt, nur noch das Skelett einer Physiognomie, im ganzen aber von großer Feinheit und voller Anmut im Blick der Augen, die den besonderen unbeschreibbaren Ausdruck der früheren Hofdamen besaßen. Hinter diesen so feinen und so beweglichen Zügen konnten sich ebensowohl in hohem Maße schlimme Gefühle, Verschlagenheit und weibliche List verbergen, wie die zarten Empfindungen einer schönen Seele. Das weibliche Antlitz ist in der Tat für den gewöhnlichen Beobachter schwer zu beurteilen, weil er den Unterschied zwischen Freimütigkeit und Doppelzüngigkeit, zwischen dem Wesen der Intrige und dem der reinen Empfindung des Herzens nicht zu erkennen vermag. Nur wer einen scharfen Blick besitzt, hat eine Ahnung von diesen fast ungreifbaren Nuancen, die eine mehr oder weniger gekrümmte Linie, ein mehr oder weniger tiefes Grübchen, ein mehr oder weniger hervortretender Vorsprung anzeigt. Die Würdigung dieser Anzeichen gehört ganz in das Reich der Intuition, die allein das aufzudecken vermag, was jeder zu verstecken bemüht ist. Mit dem Gesicht der alten Dame verhielt es sich ebenso wie mit ihrer Wohnung: es war ebenso schwer, zu wissen, ob hinter diesem Elend Lasterhaftigkeit oder höchste Ehrenhaftigkeit versteckt war, ebenso schwer zu erkennen, ob Adelaides Mutter eine alte Kokette war, die alles erwog, alles berechnete, alles verkaufte, oder eine Frau voll Liebe, Adel und trefflichen Eigenschaften. Aber in dem Alter, in dem Schinner stand, besteht die erste Regung des Herzens darin, an das Gute zu glauben. Und wenn er die vornehme, fast abweisend stolze Stirn Adelaides betrachtete und ihre Augen voll Geist und Seele, so atmete er sozusagen den süßen reinen Duft der Tugend ein. Mitten in der Unterhaltung ergriff er die Gelegenheit, von Porträts im allgemeinen zu sprechen, um das Recht zu haben, das schreckliche Pastellbild zu betrachten, dessen Töne völlig verblaßt und dessen Farben zum größten Teil abgefallen waren.
»Sie hängen gewiß an diesem Bilde wegen seiner Ähnlichkeit, meine Damen, denn die Ausführung ist abscheulich«, sagte er mit einem Blick auf Adelaide.
»Es ist in Kalkutta gemacht worden, und zwar in großer Eile«, erwiderte die Mutter mit bewegter Stimme.
Sie betrachtete die unförmliche Skizze mit der vollen Hingebung, die die Erinnerungen an glückliche Zeiten hervorrufen, wenn sie wieder erwachen und sich über das Herz ergießen, wie die erfrischende Wirkung eines wohltätigen Taus, der man sich gern überläßt; aber der Gesichtsausdruck der alten Dame
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